Es gibt keinen gerechten Lohn

BERLIN. Der spektakulärste Wirtschaftsprozess in der deutschen Nachkriegsgeschichte endete mit Freisprüchen für alle Angeklagten. Unsere Zeitung sprach darüber mit dem Direktor des Konstanzer Instituts für Werte-Management, Josef Wieland:

Herr Professor Wieland, ist das Urteil ein Freibrief für selbstherrliche Manager, die den Hals scheinbar nicht genug voll bekommen können?Wieland: Das Gericht hatte eine juristische Bewertung vorzunehmen und keine moralische. Dabei haben wir es mit einem moralisch aufgeladenen Prozess zu tun. Hier bleibt viel aufzuarbeiten. Wie hoch dürfen Manager-Prämien sein? Wie werden die Interessen der Aktionäre wahrgenommen? Wo bleibt die wirksame Kontrolle? Der Kern des Problems ist aber, welche Einkommens-Spreizungen wir in Deutschland zulassen wollen. Die Globalisierung hat hier den Druck verstärkt. Bei den Mittelschichten geht die Angst um, nach unten durchzurutschen. Das darf man nicht unterschätzen. Welche gesellschaftlichen Auswirkungen hat das Urteil? Wieland: Auch wenn es für manche befremdlich klingt, der Rechts-Aspekt des Standorts Deutschland wurde gestärkt. Die Richter haben Klarheit geschaffen. Was jetzt ansteht, ist eine gesellschaftliche Diskussion über Transparenz, Kontrolle und die Rolle der Aufsichtsräte. Die Topverdiener können nicht nur bei der Einkommenshöhe mit internationalen Standards argumentieren. Die Gegenleistungen gehören genauso dazu. Was wäre nach ihrer Meinung eine angemessene Bezahlung der Wirtschaftselite? Wieland: Was die Unterschiede der deutschen Einkommen angeht, so sind sie im internationalen Maßstab noch vergleichsweise gering. Diese Tradition lässt sich auch nicht von einem Tag auf den anderen verändern, wie das manche in den Konzern-Etagen probieren. Auf der anderen Seite kann man eine angemessene Bezahlung nicht mehr aus einer nationalen Kultur heraus erklären, weil es für Spitzen-Manager internationale Arbeitsmärkte gibt. Ich glaube auch nicht, dass sich so etwas wie ein gerechter Lohn definieren lässt. Am einfachsten wäre noch, eine Grenze nach unten einzuziehen. Aber wer will die Obergrenze festlegen? Die Diskussion darüber ist in vollem Gange. Wieland: Über die angemessene Bezahlung entscheiden die Eigentümer des Unternehmens und der Markt. Was sich im Mannesmann-Prozess an Prämien und Abfindungen auftat, ging über das allgemeine Empfinden weit hinaus. Das eigentliche Thema muss aber sein, was die jeweilige Person dafür konkret leistet. Und wie lösen Sie das Problem? Wieland: Top-Manager müssen mit ihrem Lohn für Erfolge, aber eben auch für Misserfolge einstehen. Da könnten Bezüge gekürzt oder Prämien ganz gestrichen werden. Denn das Einkommen solcher Leute ist nur zum geringeren Teil ein Festbetrag. Der größte Teil ist erfolgsabhängig. Ich sage, er muss stärker misserfolgsabhängig gemacht werden. Dazu brauchen wir auch eine stärkere Kontrolle. Nur über die Gehaltshöhe zu sprechen, führt automatisch in eine Neid-Diskussion, die uns nicht weiter hilft. Brauchen wir einen neuen Gerechtigkeitsbegriff? Wieland: Wenn Sie sich den Sinn des Begriffs in der antiken Philosophie anschauen, dann bedeutet Gerechtigkeit: Wie kann ich jemandem gerecht werden? Heute wird das in Deutschland pervertiert mit: Was steht mir zu? Dieses Modell der Verteilungsgerechtigkeit ist tatsächlich überholt. Das gilt für die Arbeitnehmer genauso wie für die Top-Manager. Mit Josef Wieland sprach unser Korrespondent Stefan Vetter.

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