"Es gibt keinen sicheren Hafen"

Die Liechtenstein-Affäre hat in Deutschland die Fahnder ins Rampenlicht gerückt und eine Diskussion um die Steuerehrlichkeit entfacht. Bei seinem Besuch im Finanzamt in Trier hat der Chef der Deutschen Steuergewerkschaft, Dieter Ondracek, klare Worte gefunden: Fast jeder hinterzieht Steuern, solange er glaubt, dass er nicht erwischt wird.

 Dieter Ondracek fordert mehr Fahnder. TV-Foto: Heribert Waschbüsch

Dieter Ondracek fordert mehr Fahnder. TV-Foto: Heribert Waschbüsch

Trier. (hw) Deshalb fordert Ondracek im TV-Interview: Wir brauchen ein größeres Entdeckungs-Risiko. Mit dem Steuer-Experten sprach TV-Redakteur Heribert Waschbüsch. Herr Ondracek, Sie kritisieren das Vorgehen der Behörden bei den Ermittlungen gegen Klaus Zumwinkel. Warum?Ondracek: Ich kritisiere dieses öffentlichkeitswirksame Vorgehen, weil dadurch natürlich andere Betroffene gewarnt wurden. Es ist absolut unüblich, dass man einen einzigen Fall aus einer ganzen Ermittlung vorzieht. Damit hat man einen Warneffekt an alle anderen gegeben. Jeder, der in Liechtenstein Gelder hat, wusste, jetzt wird es heiß und konnte Unterlagen vernichten.Hat eine solche medienwirksame Aktion nicht auch den Nebeneffekt, dass viele andere Steuersünder zur Selbstanzeige schreiten?Ondracek: Das wäre nur ein Gedankengang, den ich Politikern zutraue, nicht aber Ermittlern. Man muss doch sehen, dass die Ermittler schon massive Vorarbeit geliefert haben. Aus deren Sicht hat das Vorgehen nur die Arbeit erschwert. Sie gehen davon aus, dass 30 Milliarden Euro jedes Jahr an Steuern hinterzogen werden. Wer sind denn die Steuersünder?Ondracek: Das zieht sich durch alle Schichten. Jeder, der Möglichkeiten hat, versucht sie auch auszunutzen, wenn er kalkuliert, dass er nicht erwischt wird. Muss man Angst haben, entdeckt zu werden, dann gehen die meisten den Weg doch erst gar nicht. All diese Leute, die Steuern hinterziehen, die würden nie ihren Nachbarn ausrauben oder ein Auto stehlen. Das Unrechtsbewusstsein ist ein anderes. Deswegen ist auch der einzige Weg, Steuerhinterziehung einzudämmen, den Ermittlungsdruck zu verstärken. Glauben Sie etwa, Klaus Zumwinkel hätte sich auf eine solche Geschichte eingelassen, wenn er nur ansatzweise die Möglichkeit gesehen hätte, dass er erwischt wird?Mit welchen "Steuerhinterziehungs-Modellen" wird denn da gearbeitet?Ondracek: Einmal werden Einnahmen verschwiegen - also etwa die Schwarzarbeit beim Hausbau. Jeder kennt doch die Frage: "Brauchen Sie eine Rechnung?" Dann die Möglichkeit, Ausgaben vorzugaukeln, die man gar nicht hat. Und zum dritten ganz gezielt, Gelder zu verstecken - wie jetzt in Liechtenstein oder vor einigen Jahren in Luxemburg - sowie der organisierte Umsatzsteuerbetrug. In der Summe bedeuten die Betrügereien einen Verlust von 30 Milliarden Euro im Jahr. Sie fordern abschreckende Strafen für Steuerkriminelle. Reichen unsere Gesetze nicht aus?Ondracek: Die Strafandrohung reicht voll aus. Wir haben in der Spitze für Steuerhinterziehung Strafen bis zu zehn Jahren. Doch dieses Strafmaß ist nicht annähernd jemals verhängt worden. Vor allem müssen die Richter eins tun: die Verfahren durchziehen. Es ist doch gängige Praxis, dass Verfahren gegen Geldauflage eingestellt werden. Und die Täter sind gerne bereit, hohe Geldauflagen zu zahlen. Denn damit bleiben sie nicht vorbestraft. Sie kritisieren immer wieder, dass es zu wenig Steuerfahnder gibt. Ein Fahnder kostet den Staat rund 60 000 Euro, bringt ihm aber Millionen ein.Ondracek: Tausend zusätzliche Fahnder wären ein Anfang und ein politisches Signal, denn das erhöht das Entdeckungs-Risiko. Schon deshalb würden viele Leute gar nicht mehr das Risiko eingehen. In der Bevölkerung herrscht das Vorurteil, die Kleinen werden geschnappt, die Großen lässt man laufen…Ondracek: Der Fall "Liechtenstein" ist gut, weil er zeigt, dass man sich an die Großen herantraut, wenn man die Beweismittel dazu hat. Aber wenn diese CD-ROM nicht aufgetaucht wäre, ich wüsste nicht, wie ein Zumwinkel zu fassen wäre. Eine Auslands-Geldanlage, die angeblich aus einer Erbschaft stammt, kann man so nicht erahnen, und damit hat man keinen strafrechtlichen Anfangsverdacht für eine Hausdurchsuchung. Die Raffinierten spielen mit der schwachen Steuerverwaltung. Auch deshalb ist es wichtig, dass die Steuersünder nun sehen: Es gibt keinen sicheren Hafen.In den laufenden Tarifverhandlungen fordern die Gewerkschaften für den öffentlichen Dienst vier Prozent plus x.Ondracek: Der Fall Liechtenstein zeigt auch ganz deutlich: "Uns muss es geben." Das sieht man derzeit auch in der Öffentlichkeit so. Nun sind die Arbeitgeber auch gefordert, ihren Worten Taten folgen zu lassen. Dabei gilt es für den Arbeitgeber, die Mannschaft zu motivieren und nicht zu demotivieren, indem er sagt, ich zahle euch weniger, als ihr sonst verdienen könnt. Denn dann werden die Guten bald die Nase voll haben und dorthin gehen, wo sie mehr bekommen. Unsere Verwaltung funktioniert nur, wenn jeder 110 oder 120 Prozent gibt. Da soll er doch wenigstens 100 Prozent Geld bekommen.Zur Person Dieter Ondracek: Der 64-jährige gebürtige Regensburger war viele Jahre Betriebsprüfer und Steuerfahnder in der Steuerverwaltung. Seit 1995 ist der Diplom-Finanzwirt Vorsitzender der Deutschen Steuergewerkschaft und vertritt 71 000 Angestellten, Arbeiter und Beamten der Finanzverwaltungen.

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