Falsche Signale vermeiden

TRIER. Der Vorstand des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) trifft sich zum 150-jährigen Bestehen der Industrie- und Handelskammer Trier (IHK) zu seiner Vorstandssitzung an der Mosel. DIHK-Präsident Ludwig Georg Braun warnt im TV-Interview vor falschen politischen Signalen.

Die Gewerkschaften fordern ein Ende der Lohnzurückhaltung. Was halten Sie davon? Braun: Ich kann nur davor warnen, sich von einer moderaten Lohnpolitik zu verabschieden. Angesichts knapp fünf Millionen Arbeitsloser wäre dies ein völlig falsches Signal. Die Vorstellung, dass massive Lohnsteigerungen unsere Inlandsnachfrage in Fahrt bringen, hat sich schon in der Vergangenheit stets als beschäftigungspolitisch fataler Trugschluss erwiesen. Ein weiterer Personalabbau, mehr Verlagerungen ins Ausland und damit letztlich eine zusätzliche Schwächung der Binnenkonjunktur sind die typischen Folgen überhöhter Lohnabschlüsse. Viele Unternehmen fahren Gewinnsteigerungen ein, erkauft mit Personalabbau und betrieblichen Leistungen, die abgebaut wurden. Braun: Gerade mittelständische Unternehmen müssen ihre Gewinne zunächst dazu nutzen, ihre Eigenkapitalbasis zu stärken - unbedingte Voraussetzung dafür, in Zeiten einer stärker risikoorientierten Kreditvergabe die Basel-II-Voraussetzungen zu erfüllen. Grundsätzlich ist es jedoch richtig, seine Mitarbeiter am wirtschaftlichen Erfolg teilhaben zu lassen. Nur sind dazu ertragsabhängige Einmalzahlungen immer geeigneter als die starren prozentualen Lohnerhöhungen vergangener Jahre - vor allem dann, wenn sich eine scheinbar nachhaltig verbesserte Auftrags- und Ertragslage doch nur als konjunkturelles Strohfeuer entpuppt. Ist der Flächentarifvertrag Gift für die deutsche Wirtschaft? Braun: Der Flächentarifvertrag hält zwar Konflikte bei der Lohnfindung aus den Unternehmen heraus und leistet damit einen wichtigen Beitrag für den Betriebsfrieden. Doch sind starre Pauschalvereinbarungen in unserer globalisierten und temporeichen Welt nicht mehr zeitgemäß. Deshalb brauchen die Unternehmen und deren Mitarbeiter mehr Spielräume, um erforderlichenfalls vom Tarifvertrag abweichen zu können - beispielsweise in Form längerer Arbeitszeiten. Im Rahmen des Flächentarifs ausreichende Möglichkeiten für betriebsnahe Lösungen zu verankern, ist deshalb zentrale Voraussetzung dafür, dass dieser auch in der Zukunft für die Unternehmen eine gute Wahl bleibt. Täglich verlieren wir in Deutschland 2000 Arbeitsplätze. Welches Mittel haben Sie gegen diese Entwicklung? Braun: Jeder am Standort Deutschland verlorene Arbeitsplatz ist einer zuviel. Doch es gibt Auswege aus der Beschäftigungsmisere: Gesundheits- und Pflegeprämien in der Kranken- und Pflegeversicherung würden endlich unsere Lohnzusatzkosten senken und Arbeit hierzulande wieder bezahlbarer machen. Im Übrigen sind geringere Steuer- und Abgabenbelastungen auch der verlässlichste Weg, das Einkommen und die Kaufkraft der Arbeitnehmer zu erhöhen. Ergänzend brauchen gerade kleine und mittlere Unternehmen ein einfacheres und flexibleres Arbeitsrecht. Um auch gering qualifizierten Arbeitslosen wieder eine Beschäftigungsperspektive zu bieten, wird an dem Aufbau eines Niedriglohnsektors in Deutschland kein Weg vorbeiführen. Der Ausbildungspakt steht vor einer harten Probe. Warum gelingt es nicht, mehr Jugendliche in eine Lehrstelle zu bringen? Braun: Die mangelnde Ausbildungsreife der Schulabgänger und die unsichere wirtschaftliche Perspektive sind die beiden wichtigsten Ausbildungshemmnisse. Das ergab eine Online-Umfrage des DIHK bei mehr als 7500 Unternehmen. An beiden Ursachen müssen wir ansetzen: Schule und Wirtschaft müssen stärker kooperieren, um möglichst viele Jugendliche für eine betriebliche Ausbildung fit zu machen. Und die neue Bundesregierung muss ein umfassendes Reformpaket auf den Weg bringen, um die wirtschaftlichen Perspektiven zu verbessern. Was erwarten Sie von der nächsten Bundesregierung? Braun: Entscheidend ist, dass die neue Regierung sofort handelt: Reform der Kranken- und der Pflegeversicherung, Steuerreform, mehr Investitionen in die Verkehrswege, Föderalismusreform, Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland gehören auf die Tagesordnung. Der wichtigste Punkt auf Länderebene ist die Verbesserung der Bildungsinstitutionen. Wichtig ist, dass alle Punkte im ersten vollen Jahr der neuen Regierung, also 2006, angegangen und dann, gegebenenfalls in mehreren Schritten, in den Folgejahren umgesetzt werden. Und ich bin sicher: Selbst kurzfristig schmerzliche Entscheidungen sind für alle Beteiligten besser als jede Hängepartie. d Die Fragen stellte TV-Redakteur Heribert Waschbüsch.

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