Handwerkskammer sendet Notsignal: Provokantes Plädoyer für die duale Berufsausbildung

Trier · Die Karten liegen auf dem Tisch: Das regionale Handwerk ist in Not. Es fehlt an Fachkräften und an Nachwuchs, und zudem ist die Qualität bei den Handwerkern nicht immer das, was sich die Handwerkskammer wünscht. Was tun in dieser Situation?

 Das Ausland beneidet Deutschland um seine duale Ausbildung. “Gleichzeitig steigt der Akademisierungswahn in Deutschland und gefährdet das erfolgreiche System", sagt HWK-Präsident Rudi Müller.

Das Ausland beneidet Deutschland um seine duale Ausbildung. “Gleichzeitig steigt der Akademisierungswahn in Deutschland und gefährdet das erfolgreiche System", sagt HWK-Präsident Rudi Müller.

Foto: Heribert Waschbüsch

"Eine solche Pressekonferenz mit so einem Titel hat es bei der Handwerkskammer Trier sicher noch nicht gegeben", begrüßt HWK-Hauptgeschäftsführer Manfred Bitter die Gäste. Die Handwerkskammer präsentiert die Standpunktbroschüre "Ist das Handwerk noch zu retten?" - ein Zustandsbericht und Forderungskatalog, der intern und extern zur Diskussion und zum Handeln anregen soll.

"Wir sind in einer schwierigen Situation. Die qualitative Abwärtsspirale bei den Lehrlingen schlägt sich auch bei den Fach- und Führungskräften, Meistern und Selbstständigen nieder ", sagt Handwerkskammerpräsident Rudi Müller. Er spricht von schwachen Lehrlingen, von weniger guten Gesellen und einem niedrigen Niveau in den Meisterkursen. "Die Handwerkskammer sieht die Zukunft der beruflichen Qualifikation und damit die Qualität der handwerklichen Leistung substanziell gefährdet", urteilt er. Durch den Trend zum "Abitur für alle" werde das bisherige Erfolgsmodell "duale Berufsausbildung" immer mehr geschwächt. "Gerade für den personalintensiven Bereich des Handwerks habe dies fatale Folgen", sagt Rudi Müller.

Tausende Fachkräfte fehlen und in diesem Jahr können rund 500 Lehrstellen bei den 7000 Handwerksbetrieben der Region nicht besetzt werden. "Diese Probleme, die wir jetzt spüren, betreffen die gesamte Wirtschaft", sagt Hauptgeschäftsführer Manfred Bitter. Und während der "Akademisierungswahn" fortschreite, wachse gleichzeitig die Zahl der Studienaussteiger. "Eine erfolgreiche Handwerkskarriere ist nicht nur direkt nach dem Abitur, sondern auch nach einer Mittleren Reife oder einem ordentlichen Hauptschulabschluss möglich", sagt Bitter. Günther Behr, Abteilungsleiter Ausbildung, hat das Positionspapier verfasst und fordert, "dass die Diskussion über Berufs- und Lebensperspektiven offensiv geführt werden muss". Ansätze, qualifizierten Gesellen ohne formale Hochschulreife ein Studium zu ermöglichen und Unterstützungsangebote zu entwickeln, würden von der HWK unterstützt. Die Durchlässigkeit des Systems ist den Verantwortlichen sehr wichtig.

Bei der Betrachtung der Situation ist die Kammer auch sehr selbstkritisch mit dem Handwerk. "Wenn 50 Prozent der KFZ-Mechatroniker-Lehrlinge in der Zwischenprüfung durchfallen, ist das nicht akzeptabel", sagt Bitter. Und auch die Quote der Lehrlinge, die ihren Vertrag nicht erfüllen oder in einen anderen Beruf wechseln, sei zu hoch. Von 3700 Lehrlingen waren dies in der Vergangenheit bis zu 500 Azubis.

So ist das Positionspapier nicht nur ein Forderungskatalog an die Bildungspolitik, sondern auch ein Appell an das Handwerk. "Wir haben Defizite und müssen die beseitigen", sagt Bitter. Kammerpräsident Müller stimmt ein: "Wir wissen, unsere Betriebe müssen attraktiver werden."

Die regionale Wirtschaft steht vor einer Mammutaufgabe. Deshalb will die HWK alle Akteure in die Verantwortung nehmen. "Die Broschüre geht an unsere 7000 Mitgliedsbetriebe, an die Ministerpräsidentin und die Wirtschaftsministerin, an die Politik, an die 52 Handwerkskammern im Land und den Zentralverband des Deutschen Handwerks", kündigt Bitter an. Denn die Broschüre soll nun wie ein ins Wasser geworfener Stein, viele Wellen schlagen.
Meinung: Ein klares Zeichen


Der Weckruf der Handwerkskammer ist mutig. Seit Jahren haben die Handwerker Probleme, Nachwuchs zu finden. Viele Berufe gelten bei Jugendlichen und Eltern nicht als schick und schon gar nicht als sexy. Was sie aber sind, sie sind lukrativ und zukunftssicher. Das Handwerk hat zwei Aufgaben, um aus der Misere herauszukommen. Die Betriebe müssen für Mitarbeiter lukrativer werden. Das ist zum einen die Bezahlung, aber das sind auch Aufstiegschancen, Weiterbildungsmöglichkeiten und Wertschätzung. Zudem muss die Gesellschaft verstehen, dass die deutsche Wirtschaft ohne duale Ausbildung mittelfristig leidet. Die Botschaft: Der Gesellenbrief ist nicht das Ende der Karriere, sondern erst der Anfang. h.waschbuesch@volksfreund.de

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