Hier sind Azubis die Chefs

HERMESKEIL. Die Chance, Ministerpräsident Kurt Beck nachmittags im Einkaufszentrum zu treffen, ist eher gering. Gestern aber gab es für Kunden in Hermeskeil diese überraschende Begegnung. Doch Beck legte sich nicht Butter, Eier und Mehl in den Warenkorb, sondern sah sich eine bundesweit einmalige "Azubi-Aktion" an.

Im "Kaufland" in Hermeskeil haben vom 6. Juni bis zum 2. Juli 93 Azubis das Sagen. Aus sieben Bundesländern sind die jungen Lehrlinge für einige Wochen in den Hochwald gezogen, um den Kaufland-Markt in Hermeskeil zu organisieren. Schon in den vergangenen Jahren hatte das Unternehmen mit solchen Maßnahmen seinen Nachwuchs gefördert. 2005 läuft die Aktion in Hermeskeil. Geschäftsführer Harald Spang sieht in dem Azubi-Projekt eine tolle Gelegenheit, Lehrlinge auf künftige Führungsaufgaben vorzubereiten: "Diese vier Wochen sind besser als ein ganzes Ausbildungsjahr. Sie prägen die jungen Menschen." Als expandierendes Unternehmen brauche die Kaufland Stiftung & Co. KG für ihre neuen Märkte Führungspersonal, und das ziehe man sich schon immer fast ausschließlich aus den eigenen Reihen heran. Der Hermeskeiler Azubi-Markt wird von Stefanie Baumann (Schwalmstadt/Hessen), Oliver Baselt (Hagen/NRW) und Sven Heintzsch (Herzogenrath/NRW) geleitet. Die drei Hausleiter sind damit die Chefs der 90 anderen Azubis. "Wir haben uns mit den 17 Führungskräften und einem externen Coach eine Woche lang auf mögliche Konfliktsituationen eingestellt. Doch bisher läuft alles reibungslos", sagt Baselt. Die gesamte Azubi-Truppe ist in einem Ferienpark in Kell untergebracht - Unterhaltungsprogramm? "Dafür sorgen wir schon selbst", sagt Baselt. Die Azubis aus den einzelnen Filialen mussten sich schon vor Monaten auf den jeweiligen Posten bewerben: Hausleiter, Abteilungsleiter, Verkäufer, Kassierer. Klare Hierarchien sind vorgegeben - doch im täglichen Geschäft läuft vieles sehr harmonisch und reibungslos. Im Frühjahr begann das Auswahlverfahren, und vor wenigen Wochen wurden die Erwählten dann schon auf die Herausforderung in den eigenen Häusern vorbereitet. Verkaufsleiter Jörg Clessienne hat das Trainingsprogramm der 93 Azubis begleitet und beobachtet nun aus der Distanz das Schaffen des Nachwuchses. Für die jungen Berufstätigen ist das Projekt auch ein Wagnis und ein Abenteuer: Der 19-jährige Ali Akaguen berät seine Kunden beispielsweise eigenverantwortlich an der Fleischtheke. "Ich finde diese Aktion absolut spitze. Ein Team aus lauter jungen Leuten, das macht Spaß und ist eine echte Herausforderung für uns. Und das Tolle ist, dass jeder jedem hilft. Ist bei uns Stress, gibt es von den Kollegen Unterstützung." Dabei tragen die jungen Azubis die volle Verantwortung, wie Geschäftsführer Harald Spang betont. "Das Team hat beispielsweise vergessen, Fleisch oder Obst zu bestellen. Das Problem galt es zu lösen. Also haben sie Geld genommen und sind einkaufen gegangen. Der Kunde hat nichts gemerkt." Bei aller Euphorie ist die Aufgabe für die jungen Menschen auch kein Honigschlecken. 55 000 Einzelartikel sind zu verwalten, die Kunden sollen kompetent und nett bedient werden, und dann ist da noch der Ehrgeiz der Nachwuchskräfte, alles noch besser zu machen als die rund 100 Kollegen, die sonst das Geschäft in Hermeskeil führen. Stefanie Dörr (erstes Lehrjahr) aus Westerburg in Rheinland-Pfalz verabschiedet jeden Kunden mit der Frage, "Waren Sie mit dem Einkauf zufrieden?" Und sie selbst - wie ist sie mit dem Projekt zufrieden? "Für uns ist das eine große Chance. Das macht unheimlich Spaß. Aber manchmal habe ich schon ein wenig Heimweh." Schon jetzt sind die Verantwortlichen stolz auf ihr Azubi-Team. IHK-Chef Arne Rössel lobt das große Ausbildungs-Engagement des Unternehmens, Kurt Beck ist von der Jugend begeistert, und die Schirmherrin Ilona König, Bürgermeisterin, glaubt, dass die außergewöhnliche Azubi-Aktion in Hermeskeil bundesweit Wellen schlägt. Und die Kunden? Die sind bisher sehr zufrieden, loben Engagement und Freundlichkeit (siehe Umfrage). Nun müssen die 93 Azubis noch bis zum 2. Juli durchhalten. Dann kehren übrigens die rund 100 Kaufland-Mitarbeiter an ihren gewohnten Arbeitsplatz zurück. Sie konnten während der Aktion Urlaub nehmen oder in einem anderen Markt arbeiten.

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