Ist der Aufschwung endlich da?

Berlin. Interessant, welche Reaktionen eine Zahl auslösen kann, die nicht einmal überraschend ist: Bundesregierung und Koalition brachen in Jubel aus, nachdem das Statistische Bundesamt gestern die Wachstumsbilanz vom vergangenen Jahr - das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wuchs um 1,7 Prozent - bekannt gegeben hatte.

"2004 war das Jahr der Trendwende", frohlockte Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) in einer ersten Stellungnahme. Rote und Grüne Politiker freuten sich über die "positive Entwicklung" nach drei Jahren Stagnation und ließen sich auch von den verdrießlichen Warnungen der Opposition nicht beirren. Insbesondere Clement war angetan von der Zahl, die er ähnlich prophezeit hatte (1,8 Prozent). Da auch mit den neuerlichen Steuersenkungen zum Jahresbeginn nun "mehr Zuversicht" zu erwarten sei, könne die wirtschaftliche Erholung 2005 "an Kraft und Breite" gewinnen und die Binnenwirtschaft aus dem Tal holen, ließ er in Berlin verlauten.Unterschiedliche Interpretation

Und da parallel zum "deutlichen Beschäftigungszuwachs" durch die Hartz-Reformen seine Hoffnung wächst, befindet sich auch Clements Stimmung im Aufschwung. Diese wird geteilt vom Kabinettskollegen Hans Eichel (Finanzen), der die "unübersehbaren Früchte" seiner Konsolidierungspolitik lobte und dabei in Erinnerung brachte, dass das BIP im Jahr 2003 noch leicht geschrumpft war (-0,1 Prozent). Soll heißen: Es hat sich wirklich etwas getan im vergangenen Jahr, und diese Erfolge sollte man nicht schlecht reden. Genau das tat aber die Opposition. Auch Verbände und Kammern zeigten sich "enttäuscht über die ohnehin bescheidenen Erwartungen" (Bundesverband Groß- und Außenhandel, Industrie- und Handelskammertag). Jedenfalls sei kein Anlass zum Jubeln erkennbar, zumal sich die 1,7 Prozent Wachstum vor dem Hintergrund der boomenden Weltwirtschaft (plus fünf Prozent) äußert mickrig ausnähmen. Und für den Arbeitsmarkt sei die anhaltende Wachstumsschwäche "ein Schlag ins Gesicht". Auch die CSU-Abgeordneten Michael Glos, Bartholomäus Kalb und Johannes Singhammer konnten nichts Positives an der positiven Zahl entdecken. Die Wachstumsziffer täusche nämlich über den wahren Zustand des Landes hinweg. Deutschland hinke der Konkurrenz hinterher und habe lediglich vom guten Export profitiert. Außerdem sei die Lage der Staatsfinanzen weiterhin dramatisch und die Defizitquote (3,9 Prozent) "exorbitant". Kurzum: "Ein Trauerspiel für Deutschland". Auch der FDP-Finanzexperte Carl-Ludwig Thiele sprach von einem "kümmerlichen Ergebnis." Offenbar sehen es Opposition und Wirtschaft als ihre Pflicht an, die unstete Konjunkturlage skeptisch zu betrachten. Von den Finanzmärkten und Analysten wird diese Einschätzung so nicht geteilt. Das Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) hat jedenfalls einen verbesserten Saldo der Konjunkturerwartungen festgestellt. 300 befragte Finanzmarktprofis hätten die Lage günstiger eingeschätzt, hieß es im "Handelsblatt", das den ZEW-Präsidenten und Wirtschaftsweisen Wolfgang Franz mit den Worten zitiert: "Der Jahresauftakt lässt sich gut an." Es bestehe die begründete Hoffnung, dass Konsum und Investitionen "einen aufwärts gerichteten Pfad einschlagen werden". Pflichtgemäß positiv äußerten sich auch die Wirtschaftsexperten der SPD-Fraktion, Ludwig Stiegler und Klaus Brandner, die Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit als "erstklassig" und die Wirtschaftspolitik der Regierung als "offensichtlich erfolgreich" einstuften.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort