"Jobs werden vernichtet"

BERLIN. Die Bundesregierung will langfristig 600 000 Ein-Euro-Jobs schaffen, um wieder mehr Langzeitarbeitslose in Lohn und Brot zu bringen. Nach den Richtlinien der Bundesagentur für Arbeit sollen die Stellen gemeinnützigen Zwecken dienen und keine bereits existierenden Jobs gefährden. Der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, Dieter Philipp, befürchtet dennoch einen dramatischen Verdrängungswettbewerb.

Herr Philipp, bislang wurden schon mehrere Zehntausend Ein-Euro-Jobs geschaffen. Hat das Auswirkungen auf Ihre Branche?Philipp: Auf kommunaler Ebene bestehen hunderte von Beschäftigungsgesellschaften. Diese bieten Ein-Euro-Jobs zwar stets als "gemeinnützig" und "zusätzlich" an. Doch was sich dahinter verbirgt, erfahren derzeit viele Handwerksbetriebe: Sie verlieren einen Teil ihrer Aufträge. Können Sie konkrete Beispiele nennen? Philipp: In Berlin werden Wartungsverträge für öffentliche Gebäude gekündigt. Die Heizungen kontrollieren künftig Ein-Euro-Jobber. In Hamburg verlieren Gebäudereiniger Teile ihres Auftragsvolumens, weil beispielsweise Treppenreinigung oder Hof- und Gartenreinigung im kommunalen Wohnungsbau von Beschäftigungsgesellschaften übernommen werden, die Dumping-Angebote machen. Sozialhilfe-Empfänger wurden auch in der Vergangenheit zu gemeinnütziger Arbeit heran gezogen. Wo ist der Unterschied? Philipp: Ein Stadtkämmerer oder Geschäftsführer eines Seniorenheims macht doch heute seinen Job nicht richtig, wenn er nicht das Dumping-Angebot wählt. Die Bundesregierung steckt Milliarden in künstliche Beschäftigung, schönt so ihre katastrophale Arbeitslosenbilanz und gaukelt den Menschen vor, sie hätten wieder einen Job. Dabei ist das ganze nur eine teuer bezahlte Luftnummer. Nach den Vorgaben der Bundesagentur ist ein Verdrängungswettbewerb ausgeschlossen. Wie kann es trotzdem dazu kommen? Philipp: Das ist vor Ort trotz aller Beteuerungen kaum zu kontrollieren. Selbst Staatsekretär Rudolf Anzinger vom Bundeswirtschaftsministerium hat dem Handwerk jetzt schriftlich bestätigt, dass er unsere Befürchtungen teilt, wonach Ein-Euro-Jobs reguläre sozialversicherungspflichtige Beschäftigung gefährden können. Die Erfahrungen mit ABM zeigen, dass Beschäftigungsgesellschaften ihr Betätigungsfeld aktiv ausweiten und so den Wettbewerb verzerren und für Drehtüreffekte sorgen. Für einen Langzeitarbeitslosen im subventionierten Ein-Euro-Job rutscht ein Mitarbeiter, der Sozialabgaben und Steuern zahlt, in die Arbeitslosigkeit. Über die Schaffung von Ein-Euro-Jobs entscheiden die Arbeitsgemeinschaften von Arbeitsagentur und Sozialamt vor Ort. Findet das Handwerk dort kein Gehör? Philipp: Ein kommunaler Auftraggeber hat jüngst argumentiert, die Schaffung eines hygienischen Umfelds in einer Kindertagesstätte sei immer gemeinnützig, da Hygiene schließlich der Allgemeinheit diene. Diese Arbeit sei auch zusätzlich, da Betreuer und Zivildienstleistende sie bisher nicht ausgeführt hätten. Geht ein Betrieb gegen so einen Unsinn vor, verliert er auch noch die verbleibenden Aufträge. Das ist die Realität. Wie lässt sich das Problem aus Ihrer Sicht lösen? Philipp: Ein-Euro-Jobs bringen niemanden in wirkliche Beschäftigung. Im Gegenteil: Sie treiben noch mehr Menschen in die Arbeitslosigkeit. Die aktive Arbeitsmarktförderung ist mit ABM und allen verwandten Maßnahmen längst gescheitert, sie muss schleunigst beendet werden. Wenn der Bund schon Milliarden für die Beschäftigungsförderung übrig hat, sollte er die Kommunen mit zweckgebundenen Zuschüssen unterstützen und so für Aufträge im ersten Arbeitsmarkt sorgen. Mit Dieter Philipp sprach unser Berliner Korrespondent Stefan Vetter.

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