Jung, gesund, ungeeignet

Berlin . Arbeitsminister Franz Müntefering (SPD) bekommt ordentlich Prügel: Von den Bauern, von den landwirtschaftlichen Arbeitgeberverbänden, selbst die Agrarexperten der eigenen Koalition halten nach nur einem Jahr Münteferings neu praktizierte Erntehelferregelung für einen Flop.

Kritiker wie der agrarpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Peter Bleser, gehen sogar davon aus, dass in einigen Regionen Flächen nicht zeitgerecht abgeerntet wurden und Gemüse vergammelt ist wegen fehlender oder unmotivierter Saisonarbeiter. Dem Vernehmen nach erwägt das Arbeitsministerium jetzt, die Regelungen wieder zu kippen. "Entschieden ist aber noch nichts", hieß es gestern. Der Ansatz war angesichts hoher Arbeitslosigkeit gut gemeint: Jeder Betrieb sollte nur noch 80 Prozent der Zahl ausländischer Erntehelfer von 2005 beschäftigen; in Sonderfällen bis zu 90 Prozent. Dadurch, hoffte Müntefering mit Zustimmung von Landwirtschaftsminister Horst Seehofer (CSU), müssten zwangsläufig mehr deutsche Arbeitslose beim Spargelstechen, der Weinlese oder Obsternte zum Einsatz kommen. Doch das Ergebnis scheint zum Ende des Erntejahres 2006 ein Desaster zu sein: Das Ziel, zehn Prozent ausländische Saisonarbeitskräfte durch deutsche Arbeitslose zu ersetzen, ist nicht erreicht worden, urteilt der Chef der Bundesagentur für Arbeit (BA), Frank-Jürgen Weise. Das klingt noch milde. Der parlamentarische Staatssekretär im Bundeslandwirtschaftsministerium, Gerd Müller (CSU), wird deutlicher: Wenn es zu keiner Änderung bei den Regelungen komme, so Müller letzte Woche im Ernährungssausschuss, drohten der Landwirtschaft erhebliche wirtschaftliche Schäden. Es sei in diesem Jahr nicht gelungen, den Landwirten genügend Saisonarbeiter vom heimischen Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen. Ein Großteil der Bewerber, meinte Müller, sei den Anforderungen "fachlich, psychisch und physisch" nicht gewachsen gewesen. Laut BA hätten viele Arbeitslose die Erntearbeit - obwohl jung und gesund - von vornherein abgelehnt. Von etwa 7800 Arbeitslosen seien nur knapp 2900 zur Arbeit erschienen, haben Bauernverband und landwirtschaftliche Arbeitgeberverbände per Erhebung festgestellt. Und davon hätten letztlich nur 1264 durchgehalten. Wie Müntefering nun weiter verfahren wird, entscheidet sich endgültig in den nächsten Tagen. Der Minister wolle die gestrige Fachtagung der BA in Nürnberg zur "Saisonarbeit" abwarten, so eine Sprecherin seines Ministeriums. Zudem ist am 30. November die abschließende Sitzung der so genannten "Monitoring-Gruppe", die über die Erfahrungen mit der Erntehelferregelung und Konsequenzen berät.

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