Kehrseite der Medaille

BERLIN. Der Euro steigt und steigt. Nachdem die europäische Gemeinschaftswährung in den vergangenen Monaten bei einem Wechselkurs zwischen 1,25 Dollar und 1,30 Dollar pendelte, ist der Höhenflug seit einigen Tagen kaum mehr zu bremsen.

An den internationalen Devisenmärkten wurden gestern für einen Euro wieder mehr als 1,33 Dollar gezahlt. Damit ist der einst geschmähte DM-Ersatz nur noch wenige Cent von seinem Rekord-Hoch Ende 2004 entfernt, als die EU-Währung mit knapp 1,37 Dollar gehandelt wurde. Was bedeutet der kräftige Kurssprung für die deutsche Wirtschaft? Als Faustregel gilt, dass export-orientierte Betriebe ein Problem bekommen, weil die im Ausland erlösten Dollar weniger Euro wert sind. Umgekehrt verbilligen sich aber auch die Importe. Nach Einschätzung führender Wirtschaftsexperten ist der starke Euro eher Gift für die Konjunktur. "Weniger als der Kursanstieg muss die Geschwindigkeit des Anstiegs überraschen", sagte der Volkswirt des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, Volker Treier, unserer Zeitung. Unter dieser Entwicklung hätten insbesondere mittelständische Betriebe zu leiden. Mit ihren Produktionskapazitäten im Ausland seien große Unternehmen auf natürliche Weise gegen Wechselkursveränderungen abgesichert, erläuterte Treier. Mittelständler produzierten dagegen vornehmlich im Inland. Entsprechend verringerten sich ihre Exporterlöse. Etwa 20 Prozent der deutschen Exporte gehen in den Dollar-Raum. Rund 40 Prozent des Gesamtumsatzes der Wirtschaft sind an das Auslandsgeschäft gebunden. Nach einem Exportwachstum im laufenden Jahr zwischen neun und zehn Prozent rechnet der DIHK für 2007 nur noch mit einem Anstieg um 7,5 Prozent. Dabei ist ein Wechselkurs von 1,30 Dollar pro Euro unterstellt. In ihrem Herbstgutachten hatten die Wirtschaftsforschungsinstitute für 2007 ein Wachstum von 1,4 Prozent prognostiziert. Der durchschnittliche Wechselkurs wurde dabei "nur" mit 1,28 Dollar veranschlagt. Beim Kieler Institut für Weltwirtschaft gibt man sich trotzdem gelassen. Im Grundsatz sei der Wechselkurs immer ein Konjunktur-Risiko, sagte der Experte Joachim Scheide. Die gegenwärtige Entwicklung stelle "noch kein Alarmsignal" dar. Dem widerspricht der Mainzer Finanzwissenschaftler Rolf Peffekoven. Er geht davon aus, dass der Wechselkurs für einen längeren Zeitraum auf dem Niveau von 1,30 Euro fortbesteht, weil sich die wirtschaftliche Entwicklung in den USA abschwächt und im Euro-Raum verbessert. Ein hoher Wechselkurs beeinträchtige die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen, meinte Peffekoven, der auch Mitglied des wissenschaftlichen Beirats beim Bundesfinanzministerium ist. Zugleich warnte er in diesem Zusammenhang vor hohen Tarifabschlüssen, wie sie Spitzenpolitiker der großen Koalition befürworten. "Angesichts des hohen Wechselkurses muss die Wettbewerbsfähigkeit durch andere Komponenten verbessert werden. Das bedeutet auch Lohnzurückhaltung in den exortabhängigen Branchen", so Peffekoven gegenüber unserer Zeitung. Für den Kieler Konjunkturfachmann Scheide gilt diese Maxime unabhängig von der Wechselkursentwicklung: "Wir haben eine gute Situation auf dem Arbeitsmarkt, die auch aus der Lohnentwicklung der vergangenen Jahre resultiert. Gibt man diese Lohnzurückhaltung auf, dann wäre die Entspannung am Arbeitsmarkt bald wieder vorbei."

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