Keine Ruhe an der Preisfront

Berlin . Die Deutsche Bahn versucht verlorenen Boden bei ihren Kunden zurück zu gewinnen. Bis Ende 2003 will das Unternehmen die Fernzüge und die Hälfte der Regionalzüge mit einem neuen System ausrüsten.

Damit muss der oberste Eisenbahner wohl leben. Will BahnchefHartmut Mehdorn mal etwas Gutes aus seinem Unternehmen verkünden,holen ihn die Probleme ziemlich schnell wieder ein. So war esauch gestern, als Mehdorn in Berlin das neue"ReisendenInformationsSystem" (RIS) der Bahn vorstellte. Esfunktioniert wie folgt: Über tragbare Minicomputer kann dasPersonal künftig Fahrgäste schnell über Verspätungen, derenUrsachen und neue Anschlüsse unterrichten. So weit also die guteNachricht. Ob er denn glaube, wurde Mehdorn daraufhin gefragt,dass der Effekt der Neuerung, nämlich weniger Unmut bei denKunden über Verspätungen, verpuffe angesichts der anhaltendenKritik an dem geänderten Tarifsystem des Unternehmens? "Dasvermuten wir nicht", lautete seine knappe Antwort. Unmut bei den Kunden ist groß

Die seit Dezember geltenden Bahnpreise liegen den Reisenden und den Eisenbahnern nach wie vor schwer im Magen. Ruhe an der Protestfront ist nicht in Sicht. Denn für heute hat die parlamentarische Staatssekretärin im Bundesumweltministerium, Bahn-Aufsichtsratsmitglied Margareta Wolf (Grüne), die Kritiker des Tarifsystems von Verkehrs-, Fahrgast und Umweltverbänden zu einem "Workshop" eingeladen. Nicht ganz klar ist, in welcher Funktion sie eigentlich zum Gespräch bittet - als Staatssekretärin? Dann kann das Treffen durchaus als eine Art Affront gegenüber den zuständigen Ressorts Verkehr, Wirtschaft, Finanzen oder dem Verbaucherschutzministerium - ein harscher Kritiker der Bahn - verstanden werden. Sie sitzen alle nämlich nicht mit am Tisch. Lädt Wolf als Aufsichtsratsmitglied ein, dann hat der Konzern erst recht allen Grund, sauer über den Alleingang der Grünen zu sein. Sowieso ist man in der Führungsetage am Berliner Potsdamer Platz ziemlich erzürnt über die eine von drei Vertretern des Bundes in dem Gremium. "Was Frau Wolf macht, ist Frau Wolfs Sache. Wir haben damit nichts zu tun", grummelte Mehdorn gestern. Dass der Unmut bei den Kunden groß ist, wissen die Eisenbahner allerdings selbst, angeblich aus einer eigenen Umfrage. Danach stellen die Fahrgäste der Bahn ein schlechtes Zeugnis aus. Neben dem Preissystem sorgen die Abschaffung der alten Bahncard und der Interregio-Züge für Ärger.

Regierung hat keine rechtliche Handhabe

Glaubt man dem Umweltministerium, stecken hinter dem Vorgehen der Staatssekretärin und dem Workshop edle Motive. Denn eine rechtliche Handhabe hat die Bundesregierung nicht, da die Preise glasklar "operatives Geschäft" der Bahn sind. Wolf wolle die Kritik bündeln und einen Prozess in Gang setzen, wie die Bahn aus "der verfahrenen Situation" (ein Sprecher) herauskommt. Mit zwei oder drei praktikablen Vorschlägen über Verbesserungen würden die Teilnehmer heute auseinandergehen. Das Unternehmen könne dann entscheiden, "ob es sie umsetzt oder nicht." Eher nicht, das scheint klar zu sein: "Die Frage stellt sich nicht, das jetzt zu ändern", lehnt ein verärgerter Mehdorn hartnäckig Änderungen am Tarifsystem ab. Es müsse schließlich erst noch richtig auf dem Markt eingeführt werden. Das Treffen von Umwelt-Staatssekretärin Wolf mit rund 20 Verbänden wird daher vermutlich nicht mehr als "heiße Luft" produzieren, wie die Opposition unkt - und zwar im Einklang mit Regierungskreisen. Es gebe nun mal keine gesetzlichen Möglichkeiten, die Bahn zum Umdenken zu zwingen, heißt es aus dem rot-grünen Lager. Das Gespräch werde ähnlich wirkungslos wie damals nach Einführung des Euro der so genannte "Teuro-Gipfel" von Ministerin Renate Künast (Grüne). Letztlich entscheide der Kunde - und an dessen Votum wird auch die Bahn nicht vorbeikommen.

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