"Kreatives Nachdenken"

Berlin . Steuern runter. Allein die Vorstellung weckt bei Wirtschafts-Experten und Gewerkschaftern Hoffnung auf wirtschaftliche Belebung.

Sieht man von den weiterhin schlechten Umfragewerten für seine Partei ab, hat Gerhard Schröder nach wochenlangen politischen Nackenschlägen wieder weniger Anlass, aus beruflichen Gründen ein langes Gesicht zu machen. Die erst heftig umkämpfte Agenda 2010 ist von der roten und grünen Basis inzwischen mit deutlicher Mehrheit abgesegnet worden; die Union befindet sich im Clinch mit sich selbst und lässt auf überzeugende Gegenkonzepte warten; und das mögliche Vorziehen der dritten Stufe der Steuerreform auf 2004 ist in aller Munde. Und zwar positiv. Keine Erhöhung an anderen Stellen

Selbst Gewerkschafter und Arbeitgeber sind unisono erfreut darüber, dass die steuerliche Entlastung in Höhe von rund 18 Milliarden Euro (die Hälfte davon zu Lasten des Bundes) womöglich nicht erst 2005 kommt. Man kann sich schon gar nicht mehr daran erinnern, wann der Kanzler zuletzt Zustimmung gleich aus beiden Lagern erhalten hat. Die freudigen Zeiten für Schröder können sich jedoch schnell wieder ins Gegenteil wenden. Denn das Vorziehen der Steuerreform ist mit vielen "Wenn" verbunden, die das ganze Unterfangen noch einmal durchkreuzen könnten. Bedingungen, die der eingeschwenkte Kanzlergestern als einen "Dreiklang" vor dem SPD-Präsidium skizzierte: Ein zu seinen Reformen "passender Haushalt" (schwieriger als alles andere), die Umsetzung der Agenda 2010 und "wenn dann noch Luft und Raum bleibt", so Regierungssprecher Bela Anda schwammig, könne sich Schröder ein "kreatives Nachdenken" darüber vorstellen, die Steuerreformstufe vorzuziehen. Ziemlich unkonkrete Äußerungen also. Warum, das liegt auf der Hand: Will die Regierung die Steuerreform vorziehen, ist das ohne die Hilfe von CDU/CSU im Bundesrat nicht zu machen. Außerdem fehlen Finanzminister Hans Eichel (SPD) im kommenden Jahr schon 15 Milliarden Euro, die er durch eisernes Sparen und einen umfassenden Subventionsabbau hereinholen will. Auch dazu muss die Union in der Länderkammer ja sagen. Erst kürzlich hatte sie jedoch den Abbau von Steuervergünstigungen dort abgelehnt. Und mit Bekanntwerden der eventuellen Pläne wirken die plötzlich unter Druck geratenen C-Parteien eher wie ein aufgeschreckter Hühnerhaufen denn wie Helfershelfer der Regierung - die CDU-Vorsitzende Merkel ist für einen umfassenden Subventionsabbau, CSU-Chef Edmund Stoiber dagegen und Fraktionsvize Friedrich Merz lehnt das Vorziehen der Steuerreform gänzlich ab. Durcheinander pur. Überdies stellt sich die Frage der Gegenfinanzierung. FDP-Chef Guido Westerwelle befürchtete gestern bereits, dass auf der einen Seite die Steuern gesenkt, auf der anderen die Abgaben erhöht würden. Der Kanzler will jedoch keine Steuererhöhungen an anderer Stelle. Auch von der Idee des SPD-Linken Michael Müller, die Besserverdienenden von der Senkung auszunehmen, halten die SPD-Oberen allesamt nichts. Was bleibt sind also womöglich nur höhere Schulden ohne Rücksicht auf die EU-Defizitgrenze. Die Entscheidung über die Steuererleichterungen soll nun laut SPD-Fraktionschef Franz Müntefering noch in diesem Monat fallen. Voraussichtlich am letzten Juni-Wochenende, wenn erstmals seit 25 Jahren ein Kabinett wieder in Klausur geht. Spätestens dann wird sich zeigen, ob die Debatte viel Lärm um Nichts war - oder der Kanzler zum wie auch immer gearteten Aufbruch bläst.

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