Lehrstellenabgabe mit Fallstricken
BERLIN. Als frisch gebackener SPD-Chef hat Franz Müntefering die zügige Einführung einer Ausbildungsplatzabgabe gestern noch einmal bekräftigt.
Schon seit einigen Tagen brüten die einzelnen Ressorts über so genannten Formulierungshilfen, die die Fachbeamten des federführenden Bildungsministeriums für das geplante Paragraphenwerk erstellt hatten. In der kommenden Woche soll es in der SPD-Fraktion beraten werden. Die endgültige Verabschiedung ist laut Müntefering noch vor der Sommerpause vorgesehen. Ob die Genossen mit dem Lieblingsprojekt ihrer Parteilinken glücklich werden, ist allerdings zweifelhaft. Nicht nur SPD-regierte Länder und Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) stellen sich quer. Auch die "Formulierungshilfen" selbst sind keine Ermutigung. Zumindest dürften alle Kritiker Recht behalten, die von einem "bürokratischen Monster" sprechen. Dabei ist der Mechanismus zunächst einmal ganz einfach: Alle Betriebe, die über eine Mindestausbildungsquote von sieben Prozent hinaus Lehrstellen schaffen, erhalten Zuschüsse aus einem zentralen Fonds.Enormer Aufwand
Das Geld wird von jenen Unternehmen aufgebracht, die unterdurchschnittlich oder gar nicht ausbilden. Auf diese Weise soll die wachsende Lehrstellenlücke geschlossen werden. In 2002 kamen auf 100 Bewerber statistisch betrachtet 99,1 Ausbildungsplätze. Ein Jahr später waren es nur noch 96,6 Stellen. Arbeitgeber mit weniger als zehn Beschäftigten sind vom Gesetzentwurf ausgenommen. Sie brauchen keine Abgabe zu zahlen. Von den übrigen rund 347 000 Unternehmen und Behörden bilden gegenwärtig nur etwa 175 000 aus. In den Formulierungshilfen sind jedoch keine konkreten Zahlen über die Höhe der Abgabe beziehungsweise der Vergünstigung enthalten. Viel mehr sollen sich die Beträge am jährlichen Umfang der fehlenden Ausbildungsplätze bemessen. Und spätestens an dieser Stelle wird die Sache verzwickt. Das Bildungsressort entwickelte eine Berechnungsformel mit zahlreichen Größen und Ausgleichsfaktoren, die kaum komplizierter sein könnte. "Wir brauchen einen Mechanismus, den man nicht erklären kann, aber den man berechnen kann", meinte ein Ministerieller vielsagend. Grundsätzlich müssen zu den fehlenden Lehrstellen weitere 15 Prozent bereit gestellt werden. Das Überangebot soll die unterschiedliche Ausbildungssituation in den einzelnen Regionen berücksichtigen. Ein Betrieb mit zehn Beschäftigten, der keinen Lehrling einstellt, zahlt danach 1682 Euro in den zentralen Ausbildungsfonds. Ein Unternehmen mit 1000 Beschäftigten, das statt der vorgegebenen 70 Azubis nur zehn einstellt, kommt dagegen schon auf eine Zwangsabgabe von 144 671,93 Euro. Bei beiden Fällen ist eine Lehrstellenlücke von 20 000 unterstellt. Im Vorjahr lag das Defizit aber bei etwa 35 000 Ausbildungsplätzen, was die Strafzahlungen noch erhöhen würde. Der Stichtag zur Feststellung dieser Größenordnung ist laut Bildungsministerium der 30. September. Nachvermittlungen werden aber auch berücksichtigt. Ein weiteres Kriterium sind die Meldungen jener Betriebe, die über Bedarf ausbilden und eine entsprechende Vergütung geltend machen. Zur Auswertung dieser Datenflut braucht es natürlich Zeit. Laut Bildungsministerium soll dann auch erst am 30. April des jeweiligen Folgejahres konkret feststehen, wer was zahlt und wer was erhält. Wohl um die Bürokratie nicht noch mehr zu steigern, sind kaum Ausnahmen vorgesehen. Ein Unternehmen, das offene Lehrstellen auf Grund von ungeeigneten Bewerbern nicht besetzen kann, wird genau so zur Kasse gebeten, wie ein Betrieb, der aus bestimmten Gründen gar nicht ausbilden darf. Tarifvertragliche Regelungen in Sachen Ausbildungsquote sollen dagegen Vorrang haben. Aber nur dann, wenn sie gegenüber dem Gesetz "gleichwertig" sind. Auch diese Vorgabe dürfte noch für Zündstoff sorgen. Für die Abwicklung der Ausbildungsfonds soll übrigens das Bundesverwaltungsamt in Köln zuständig sein. Im Bildungsministerium will man aber nicht ausschließen, dass der enorme Verwaltungsaufwand eine eigene Behörde erfordern könnte.