Mehr als Ölkännchen und Schraubenschlüssel

TRIER. Das Handwerk hat zunehmend Probleme, qualifizierten Nachwuchs zu finden. Dies zeigen nicht zuletzt die Durchfallquoten von durchschnittlich rund 30 Prozent und im Extremfall bis zu 90 Prozent bei den Gesellenprüfungen in diesem Sommer.

Kevin Schiller (Name geändert) versteht die Welt nicht mehr. Der 19-Jährige ist bei der Tischlerprüfung durchgerasselt. Der Traum vom ersten Gesellengeld ist wohl dahin. Dass er die schriftliche Prüfung "verbummelt" hat, leuchtet dem jungen Mann von der Mosel ein, nicht aber, dass an seiner Arbeitsprobe, für die er acht Stunden Zeit hatte, nichts, aber auch gar nichts, richtig sein kann. Auch der Chef in seinem ausbildenden Betrieb kann das nicht verstehen. "Es kann doch nicht sein, dass die acht Stunden lang nichts gearbeitet haben", sagt er und plädiert für Widerspruch und Prüfung bei der zuständigen Innung.Aufgaben nicht verstanden

Dass solche Entscheidungen möglich und dazu gar nicht mal so ungewöhnlich sind, weiß Stephan Schmitz. Der Prüfer von der Prümer Schreinerinnung ist entsetzt: "Von elf Prüflingen konnten wir nur einem den Gesellenbrief ausstellen; einer kam erst gar nicht, und ein anderer hat kein Gesellenstück abgegeben." Nicht nur, dass dies seiner Meinung nach ein schlechtes Bild auf die ausbildenden Betriebe wirft, diese Nachlässigkeiten hätten sich - seit er vor fünf Jahren zum ersten Mal eine Prüfung abnahm - sogar verschlimmert. "Viele haben die Aufgaben gar nicht verstanden", sagt er. Dabei gebe man sich vom Prüfungsausschuss Mühe, den Jugendlichen in den zehn Teilarbeiten sogar Punkte zu geben, wenn sie die Holzstücke einen Zentimeter zu kurz schnitten, die Teile aber optimal zusammen passten oder richtig leimten. Doch das Grundwissen sei häufig einfach zu schlecht, so dass schon die Herangehensweise als "nicht bestanden" gewertet würde. Für "nicht exemplarisch" hält Dirk Kleis, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Westeifel, indes das Debakel in der Schreinerinnung Prüm. Doch gesteht auch er ein, dass die nötigen Kenntnisse für die Handwerksberufe bei vielen Kandidaten fehlten. "Wer gut genug ist, geht auf weiterführende Schulen. Unsere Klientel kommt meist von der Hauptschule", sagt er. Und die sei "schwieriger" geworden. Gleichzeitig sind die Anforderungen für KFZ-Mechaniker, Tischler & Co. gestiegen. Ob biologische, chemische oder physikalische Vorgänge: Allein der Blaumann macht den Azubi noch nicht zum Fachmann. "Statt Ölkännchen und Schraubenschlüssel steht heute in jeder Autowerkstatt ein Computer", sagt Dirk Kleis. Darauf versucht das Handwerk nun zu reagieren. So werden die neuen Azubis von diesem Sommer an nach Kundenaufträgen unterrichtet, die ihnen parallel die ganze Palette an Fachwissen vermitteln sollen - die so genannte Lernfeld-Theorie. Produktvorschlag, Preisargumentation, Ausführung und Abnahme - das soll der Realität besser entsprechen. Mathe, Deutsch, Sport plus spezielle Fachkurse - so sah bislang der Berufsschulunterricht aus und hat sich nur wenig von dem unterschieden, was an Haupt- oder Realschulen gelehrt wurde. "Das ist ein Generationenproblem. Die jungen Leute sind nicht dümmer oder fauler", ist Peter Karst, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Bernkastel-Wittlich überzeugt. Jugendliche seien heute anders gebildet, durch Computer, nicht nur durch stures Auswendiglernen. "So findet sich der Markt wieder", sagt Karst, der nun auf mehr Identifikation der Jugendlichen mit ihrem Beruf setzt. Denn während in der Schule in technischen Fächern fleißig Statik oder Stoffeigenschaften gepaukt wurden, durfte der Stift in der Werkstatt schon längst mehr als den Ölwechsel machen. "Das stellt auch enorme Ansprüche an die Schulen und die Ausbilder in den Betrieben", sagt Karsts Kollege Kleis aus der Eifel. Bislang habe es "de facto keine Verzahnung" gegeben. "Die Schule war rein fachorientiert. Das hat der Realität im Betrieb nicht entsprochen.""Standards müssen sein"

Auch spricht er sich für eine Einbeziehung der Zwischenprüfungen in die Gesellenbrief-Note für alle Berufe aus: "Das gibt ein besseres Gesamtbild." Das komme vielen Jugendlichen entgegen, ist Stephan Schmitz vom Prüfungsausschuss der Prümer Schreinerinnung überzeugt. Schon heute würde auf Azubis mit Prüfungsangst Rücksicht genommen. "Wenn das Zwischenzeugnis zu einem Viertel in die Gesamtnote einfließt, müsste jeder kontinuierlich lernen und mit dem Druck am Ende der Lehre besser umgehen können." Zudem empfehlen Kleis und Karst allen Jugendlichen, im Vorfeld Einstellungstests bei den Kreishandwerkerschaften abzulegen. "Damit weiß jeder, ob er für den Beruf überhaupt geeignet ist", sagen beide. Damit blieben Enttäuschungen für Betrieb und Azubi erspart. Des fehlenden Nachwuchses wegen das Niveau der Prüfungen zurückzuschrauben, hält Dirk Kleis dagegen für völlig fehl am Platz: "Die Anforderungen sind gestiegen, und sie werden weiter steigen." Dem stimmt auch Prüfer Stephan Schmitz zu: "Die jungen Leute sind unsere Zukunft. Sie sollen die Kundenaufträge ordentlich erledigen", sagt er. Die Ergebnisse einfach anzuheben, mache Prüfer wie Betriebe, aber auch die Jugendlichen unglaubwürdig.

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