Nächster Tiefschlag

BERLIN. (vet) Damit hatten auch die größten Pessimisten nicht gerechnet: Wegen der anhaltend miesen Wirtschaftslage schoss die Zahl der Arbeitslosen im Januar deutlich über die Marke von 4,6 Millionen.

Ein ähnlich dramatischer Anstieg war zuletzt vor fünf Jahren gemessen worden. Selbst in den vergleichsweise krisenfesten Ländern Baden-Württemberg (Arbeitslosenquote: 6,3 Prozent) und Bayern (7,8) nehmen die Entlassungen bedrohliche Ausmaße an. Mit 16,9 Prozent registrierte der Freistaat den stärksten Anstieg unter allen Bundesländern. Trauriger Spitzenreiter ist Mecklenburg-Vorpommern mit einer Arbeitslosenquote von 21,7 Prozent. Offiziell lebt mittlerweile fast jeder fünfte Ostdeutsche (19,5 Prozent) von Arbeitslosenunterstützung. Im Westen ist es beinah jeder zehnte (8,8 Prozent). Die Reaktionen der Opposition kamen einer politischen Hinrichtung für die Koalition gleich. FDP-Chef Guido Westerwelle sah in den jüngsten Horror-Zahlen "eine Katastrophe für dieses Land". Für CSU-Landesgruppenchef Michael Glos sind sie "das Ergebnis des wirtschaftspolitischen Versagens von Rot-Grün. Zugleich intonierte die Opposition aber auch die süße Melodie der Kooperation. So versicherte die CDU-Vorsitzende Angela Merkel: Falls die Bundesregierung einen "nationalen Kraftakt wagt, werden wir uns zum Wohle der Menschen nicht verschließen". Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) scheint sich jedoch einstweilen um das Wohl der Arbeitslosenstatistik zu kümmern. Zeitgleich mit den jüngsten Hiobsbotschaften aus Nürnberg ließ der Chef-Reformer des Kanzlers Zeitungsberichte bestätigen, wonach die monatliche Erhebung der Daten spätestens ab 2004 auf EU-Standard umgestellt werden soll.Abbau nur auf dem Papier absehbar

Damit finden künftig nur jene Arbeitslose in der Statistik Platz, die auch vermittelt werden wollen. Durch solche Maßnahmen könnte die Arbeitslosenquote mit einem Schlag um rund zwei Prozentpunkte gesenkt werden - zumindest auf dem Papier. "Die Statistik-Tricksereien sind eindreister Täuschungsversuch", empörte sich FDP-Vize Rainer Brüderle. Neben den Oppositionsparteien verstärken aber auch die Gewerkschaften den Druck auf Schröder & Co. Stein des Anstoßes sind die Überlegungen des Kanzlers zum Kündigungsschutz: "Wenn die Arbeitgeber bereit sind zu garantieren, dass es zusätzliche Einstellungen in erheblichem Maße gibt, dann muss man über die Flexibilisierung auch dieses Bereichs reden", hatte Schröder erklärt. Das Echo aus dem DGB war verheerend. "Solch einen Kuhhandel wird es mit uns nicht geben", polterte IG-Metallchef Klaus Zwickel. Selbst das Arbeitgeberlager zeigte dem Kanzler die kalte Schulter. "Zahlenmäßige Vorhersagen helfen nicht weiter", meinte der BDA gegenüber unserer Zeitung. Gefragt sei vielmehr ein wirtschaftspolitisches Gesamtkonzept. Galt noch vor ein paar Wochen die Vier vor dem Komma als psychologische "Auffanglinie", so spricht der Chef der Bundesanstalt für Arbeit, FlorianGerster, vom nächsten Tiefschlag: "Die Fünf-Millionen-Grenze dürfte mit höchster Wahrscheinlichkeit nicht erreicht werden".

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