Ryanair im Visier

LONDON/HAHN. Ungewöhnlich scharf reagiert der irische Billigflieger Ryanair auf angebliche Sicherheitsmängel, die ein britischer Fernsehsender aufgedeckt haben will.

Die Stewardess sitzt während eines Ryanair-Fluges schlafend auf ihrem Sessel. Oder auf dem Teppich vor einem Sitz finden sich Reste von Erbrochenem, die Stewardess soll mit After Shave den unangenehmen Geruch überdecken, lautet die Anweisung einer Kollegin. Zwei Sequenzen aus einer Reportage, die seit Montag nicht nur in Großbritannien für Wirbel sorgt und den Billig-Flieger Ryanair in Bedrängnis bringt. Der britische Privatsender Channel 4 strahlte am Montagabend in seiner Doku-Serie "Dispatches" Material aus, das zwei Reporter, die von Juli bis November 2005 verdeckt als Kabinenpersonal bei Ryanair gearbeitet haben, angeblich heimlich aufgenommen haben. Es sind massive Vorwürfe, die dem irischen Billigflieger in der Sendung mit dem Titel "Caught Napping" (etwa: Erwischt beim Nickerchen) gemacht werden: Personal, das bis zum Rande der Erschöpfung arbeiten muss - von Zehn-Stunden-Tagen für das Kabinenpersonal ist die Rede; Piloten, die angewiesen seien, die maximale Flugzeit von 100 Stunden pro Monat voll auszuschöpfen; bei einem Flug vom irischen Knock nach London Stansted soll die Anzeige für die Notausgangs-Tür einen Fehler angezeigt haben; ohne die Tür zu checken, sei das Flugzeug gestartet, heißt es in der Sendung; aufgrund der maximalen Standzeit der Ryanair-Maschinen auf den Flughäfen von gerade mal 25 Minuten sei das Bordpersonal angewiesen, keine Passkontrollen beim Boarding zu machen, sondern sich nur die Bordkarte und einen Ausweis zeigen zu lassen; nach zwei, drei Tagen Einweisung dürfe das Kabinenpersonal bereits in den Flugzeugen arbeiten. Immer wieder gab es in der Vergangenheit Kritik an dem Billigflieger. Doch selten haben die Iren derart heftig darauf reagiert. Ryanair hat als Reaktion auf die aufgedeckten Sicherheitsmängel den kompletten Schriftverkehr mit der Produktionsfirma auf seiner britischen Internetseite veröffentlicht. Ryanair-Chef Michael O'Leary bot den Fernsehmachern ein Interview an - allerdings unter Bedingungen: ungeschnitten und in voller Länge sollte der Sender die Worte des immer nach guter PR schielenden Billigflieger-Chefs ausstrahlen. Die Produktionsfirma lehnte ab. Schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten

Daraufhin schoss O'Leary zurück und stellte die gesamte Korrespondenz ins Netz, samt dem Wortlaut des Interviews, das er geben wollte. Darin heißt es, dass Ryanair die höchsten Sicherheitsstandards aller europäischen Fluggesellschaften habe. Die Gefahr der Übermüdung des Personals bestehe kaum, man achte auf die Einhaltung der Arbeitszeiten. So hätten auch die beiden Reporter während ihres verdeckten Einsatzes maximal 37 Stunden pro Woche gearbeitet, konterte O'Leary. Und nach der Ausstrahlung am Montag legte Ryanair noch nach: Die beim Nickerchen gezeigte Stewardess sei gar nicht an Bord eines ihrer Maschinen gefilmt worden. Auch sei mit 25 Minuten zwischen Landung und Start genügend Zeit, auch Erbrochenes vom Boden zu entfernen. O'Leary bezeichnete die Sendung in einem (ungeschnittenen) Radio-Interview abwertend als Seifenoper. Doch ganz ungelegen scheint dem cleveren Geschäftsmann die Recherche nicht gekommen zu sein. Getreu dem Motto: Auch schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten, kündigte der Ryanair-Chef in einem Atemzug mit an, jetzt sofort vier Millionen Tickets zum Nulltarif anzubieten - und das trotz steigender Kerosinkosten. Außerdem stationierte Ryanair gestern die siebte Boeing 737-800 auf dem Flughafen Hahn. Bis 2012 sollen weitere zwölf dieser Maschinen im Hunsrück stationiert werden.

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