Schöne neue Statistikwelt

BERLIN. Die neuen Arbeitsmarktdaten lesen sich – trotz beschönigender Statistik – wie ein Horror-Roman. Die Arbeitsmarktdaten sind heute noch genau so mies wie beim Machtantritt von Rot-Grün vor sechs Jahren: Im Januar waren fast 4,6 Millionen Menschen ohne Stelle. Gegenüber Dezember gaben sich im Januar zusätzlich 282 300 Menschen in der zur Agentur umbenannten Behörde die Klinke in die Hand.

„Gesundbeter“ und Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) stellte umgehend die Zahl 26 000 heraus. Um diese Größenordnung ist das Arbeitslosenheer im Vorjahresvergleich geschrumpft. Doch selbst das gelang nur durch einen statistischen Kniff. Im neuen Hartz-II-Gesetz heißt es: „Teilnehmer an Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik gelten nicht als arbeitslos.“

Dadurch fielen alle Teilnehmer an berufsvorbereitenden Trainingsmaßnahmen aus der Statistik. Addiert man sie zum Zuwachs von 282 300 hinzu, verwandelt sich nicht nur die Senkung in eine Erhöhung. Der Zuwachs von insgesamt 369 000 Erwerbslosen liegt dann nur unwesentlich unter dem traurigen Rekordvom Jahreswechsel 2002/03: Damals kamen von Dezember auf Januar 398 000 Arbeitslose neu hinzu. Die Gewerkschaften zeigen für den statistischen Eingriffkein Verständnis. Trainingsmaßnahmen dauerten lediglich zwei bis vier Wochen, heißt es beim DGB. Von Beschäftigung könne da keine Rede sein.

Die Statistik verzerrt aber auch an anderen Stellen: So werden auch Vorruheständler nicht mitgezählt. Ihre Zahl stieg allein im Vorjahr um 132 Prozent auf fast 274 000. Auch die neu geschaffenen Personal-Service-Agenturen schönen das Zahlenwerk. In den Leiharbeitsfirmen waren bis Ende 2003 mehr als 30 000 Leute untergebracht. Aber nur 5400 davon fanden eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit.

Arbeitsminister Wolfgang Clement verteidigte die neue Zählweise: Weitere müssten folgen, „um endlich zu einer transparenten und letztlich international vergleichbaren Zählung zu kommen“. Tatsächlich ist die Erhebung sehr unterschiedlich. Eine einzige Wochenarbeitsstunde gilt in vielen Ländern schon als Arbeitsnachweis. Entsprechend niedriger fällt die Arbeitslosenquote aus. Großbritannien und die USA ermitteln die Quote lediglich durch Umfragen.

Die Opposition ist unbeeindruckt: „Ohne die Statistik-Tricks wäre die Zahl der Arbeitslosen längst über die Fünf-Millionen gestiegen“, meinte CDU-Generalsekretär Laurenz Mayer. Eine genaue Rechnung blieb Mayer allerdings schuldig. Gewisse Manipulierungen sind allerdings auch Union und Liberalen nicht fremd. Als die Erwerbslosenzahlen in der späten Amtszeit Helmut Kohls neue Rekorde brachen, wurden fast 400 000 Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen aus dem Boden gestampft.

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