Stolpersteine im Binnenmarkt

Luxemburg . Seit Januar 1993 gibt es in Europa den freien Binnenmarkt. Doch immer noch kauft nur jeder zehnte EU-Bürger im Nachbarland ein und gerade einmal 20 Prozent der Firmen arbeiten jenseits der Grenzen. Für EU-Binnenmarktkommissar Frits Bolkestein gibt es noch einiges zu tun.

Obwohl im Dezember 1992 mehr als 100 der 124 deutschen Zollämter nach Belgien, Frankreich, Luxemburg und Niederlande geschlossen wurden, tritt der grenzüberschreitende Waren- und Dienstleistungsverkehr in vielen Bereichen auf der Stelle. Nach dem Grundsatz des freien Binnenmarktes dürfen die in einem Land der EU rechtmäßig hergestellten Waren ohne weitere Formalitäten auch in jedem anderen Mitgliedsland verkauft werden. Dubiose Vergaben

Binnenmarktkommissar Frits Bolkestein ist unzufrieden und glaubt, "dass Unternehmen und Verbraucher durch innerstaatlichen Bürokratismus am grenzüberschreitenden Verkauf gehindert werden." So will beispielsweise Frankreich durch stark erhöhten Tabakpreise die hohen Folgekosten der Nikotinsucht verringern, und seitdem verzeichnen die luxemburgischen Tabakhändler enorm steigende Umsätze. Doch die Franzosen möchten auch dem Tabak-Tourismus ins Großherzogtum einen Riegel vorschieben: Obwohl bei Reisen innerhalb der EU 800 Zigaretten (vier Stangen) pro Tag zollfrei zum persönlichen Eigengebrauch eingeführt werden dürfen, hat die franzözische Zollverwaltung die tägliche Einfuhrmenge auf 200 Zigaretten begrenzt. Eins von vielen Beispielen - ein weiteres: Handwerksfirmen aus der Region Trier beklagen den hohen administrativen Aufwand: Deutsche Firmen müssen seit einigen Monaten in Luxemburg nämlich neben der obligatorischen Arbeitserlaubnis auch einen Bevollmächtigten (Mandataire) benennen. Die luxemburgischen Behörden haben diese Regelung aufgrund des Europäischen Arbeitnehmer-Entsendegesetzes von 1996 erlassen, um sich gegen Schwarzarbeit und illegal arbeitende Firmen zu schützen. Michéle Kaesler ist Außenwirtschaftsberaterin bei der Handwerkskammer Trier und viele Firmen aus dem Kammerbezirk beschweren sich bei ihr über die administrativen Hürden bei einer grenzüberschreitenden Tätigkeit in Luxemburg. Michéle Kaesler sagt, es gebe eine ähnliche Regelung für luxemburgische Firmen in Deutschland, doch die Handhabung dieser Vorschrift sei wesentlich einfacher. Die Hemmnisse im Waren- und Dienstleistungsverkehr bestehen zwischen allen EU-Staaten. Augenscheinlich betreiben viele Firmen eine monopolistische Preispolitik, denn drei- oder viermal höhere Auslandspreise für Schokoriegel, Mineralwasser und Soft-Getränke sind nicht mit höheren Transportkosten zu begründen. Silke Brüggebors, Leiterin des Euro Info Centre in Trier, hat bei ihrer Arbeit einige Male den europäischen Amtsschimmel wiehern gehört. Vor allen in Sachen Schülertransporte seien die Ausschreibungen in Luxemburg recht "dubios": "Es haben sich mehrfach Busunternehmer aus der Eifel im Großherzogtum beworben. Doch sie wurden mit der Begründung abgelehnt, die Fahrer müssten Luxemburgisch können." Nach dem Hinweis, dass Busfahrer aus der Eifel durchaus Luxemburgisch sprechen und verstehen, hätten die Luxemburger Behörden die Forderung nachgeschoben, sie müssten am besten auch Portugiesisch können, sagt Silke Brüggebors. Bis heute würden die luxemburgischen Schüler vorwiegend von luxemburgischen Busunternehmen zur Schule gefahren. Einen kuriosen Fall europäischer Verhältnisse erlebte auch ein deutscher Rasierpinselhersteller. Er verkaufte seine Dachshaar-Pinsel in Europa, doch in den Niederlanden gab es Proteste. Der Dachs steht in Holland unter Naturschutz, und erst als der Hersteller nachweisen konnte, dass seine Pinsel mit chinesischem Dachshaar (dort steht das Tier nicht unter Naturschutz) bestückt sind, stand ihm der holländische Markt offen. "Es sind meist die kuriosen Fälle, die einem im Gedächtnis bleiben, doch weitaus ärgerlicher sind die schlimmen bürokratischen Hürden", sagt Silke Brüggebors. Hürden auch in Belgien

Neben der luxemburgischen Mandataire-Reglung sei dies auch das Gesetz gegen Schwarzarbeit in Belgien. "Wer als deutsches Unternehmen in Belgien arbeiten möchte, muss einen Antrag in Brüssel stellen." Dies dauere meist Monate, sagt Brüggebors. "Eigentlich sind damit ausländische Unternehmen nahezu von belgischen Aufträgen ausgeschlossen." Bei der EU-Kommission in Brüssel sind derzeit über 1500 Verfahren wegen Verstößen im grenzüberschreitenden Warenverkehr anhängig. Dabei entfallen rund 60 Prozent des EU-Warenhandels auf den europäischen Binnenmarkt und seit 1992 wurden etwa 2,5 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen. Der Gewinn für die Volkswirtschaften lässt sich sehen: 877 Milliarden Euro. Damit diese Erfolgsgeschichte noch runder läuft hat die EU-Kommission ein Zehn-Punkte-Programm aufgestellt, das zwischen 2003 und 2006 den EU-Binnenmarkt zum wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum der Welt entwickeln kann. Hohe Ansprüche, die hoffentlich nicht schon im kleinen Grenzverkehr scheitern.

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