Sturm im Wasserglas

TRIER. Zum Start von Hartz IVsind der befürchtete Ansturm verunsicherter Arbeitsloser und ein Massenprotest gegen die Arbeitsmarktreform ausgeblieben - auch in der Region Trier. Eine Bestandsaufnahme am ersten Tag des neuen Arbeitslosengelds (Alg) II.

8 Uhr, Arbeitsagentur Trier: Menschenschlangen vor den Sachbearbeiter-Büros? Fehlanzeige. Demonstierende Arbeitslose? Fehlanzeige. Was seit Wochen als Pannen-Reform angekündigt und als Protestlauf befürchtet wurde, ist nicht mehr als ein Sturm im Wasserglas: der Start der Arbeitsmarktreform, kurz Hartz IV, und die damit verbundene erstmalige Auszahlung des neuen Arbeitslosengelds II an Langzeitarbeitslose und Sozialhilfe-Empfänger. Und hier steht die Region Trier für den Bundestrend. Hatten Hatz-IV-Gegner in 80 Städten zu Protesten, Agenturbesetzungen und Mahnwachen aufgerufen, so folgten ihnen in ganz Deutschland lediglich 20 000 Menschen. Im Eingangsbereich der Trierer Agentur sitzen Azubis, um Hilfesuchende zu empfangen und zu ihren Sachbearbeitern der kommunalen Arbeitsgemeinschaften (Argen) der Stadt Trier und des Kreises Trier-Saarburg mit der Arbeitsbehörde zu leiten. Doch nur wenige "Kunden" haben Fragen. Tumult herrscht lediglich in den Räumen der Argen. Dort haben die neuen Mitarbeiter Quartier bezogen, um Auszahlung und Vermittlung unter einem Dach zu bündeln. "Ich hatte mehr Andrang erwartet", sagt Triers Sozialdezernent Georg Bernarding. Die rund 100 Kundenkontakte bis zum Nachmittag hätten vor allem Neuanträge und Korrekturen bei Alg-II-Bescheiden betroffen. Etwa 50 Menschen suchten zeitgleich bei der Arge Trier-Saarburg Rat. "Wir sind hier gut eingespielt. Und dies, wo wir ein neues Team sind", sagt ihr Geschäftsführer Christoph Fuchs. Sein Kollege von der Arge Bernkastel-Wittlich, Hans-Georg Simon, ist ebenfalls zufrieden: "Wir haben mit mehr Ansturm gerechnet und die Kundschaft gut und schnell verteilt." Nachfragen habe es zu den Alg-II-Bescheiden, der Höhe des Geldes und den Neuerungen des Prozederes gegeben.Sozialer Frieden hat oberste Priorität

Schließlich wird die neue Leistung - für die bisherigen Arbeitslosenhilfe-Bezieher - nun nicht mehr nach einem Arbeitseinkommen berechnet, sondern, wie die frühere Sozialhilfe, nach Pauschalsätzen gewährt. Dabei werden vorhandenes Vermögen oder Einkommen von Ehepartnern angerechnet. Für viele eine bittere Pille, die sich mit Landeigentum, Abfindungen, Immobilien und Familienhilfe bislang gut halten konnten. In Westdeutschland gilt ein Satz von 345 Euro im Monat plus Zuschläge pro Familienmitglied zwischen 207 und 311 Euro im Monat sowie gesonderte Wohn- und Heizkosten. "Das ist ein größerer Schritt für viele, weil sie alles offen legen müssen", sagt Dieter Reinsbach, Teamleiter Alg II der Trierer Arbeitsagentur. Dennoch hielten sich die Ablehnungsbescheide mit rund sieben Prozent in der Region bei rund 8300 Anträgen von Langzeitarbeitslosen in Grenzen. Immerhin hat Reinsbach mit 50 Mitarbeitern ein halbes Jahr lang zwischen 6.30 und 22 Uhr sowie samstags dafür gesorgt, "dass wir eine Punktlandung gemacht haben", sagt er stolz. Und das bei all den Problemen mit der Software. "Wir waren teilweise sehr allein gelassen", sagt er. Doch alle Anträge seien tagesaktuell bearbeitet worden. "Der soziale Frieden hatte oberste Priorität." Der ist auch am ersten Alg-II-Tag gewahrt, dank einer Zusammenarbeit zwischen Banken, Sparkassen, Argen und Agentur, die weitgehend allen der zehntausend "Bedarfsgemeinschaften" und rund 18 000 Betroffenen in der Region ihr Alg II pünktlich ausgezahlt haben. "Uns ist kein akuter Fall bekannt, bei dem kein Geld angekommen ist", sagt etwa Carl Diederich, Geschäftsführer für den Bereich der Arge im Kreis Bitburg-Prüm. Im Bereich der Arge Trier-Saarburg gibt es ganze drei Barauszahlungen. Ob der soziale Frieden aber auch langfristig gesichert bleibt, hängt davon ab, wie die spätere Integration der Alg-II-Bezieher in den Arbeitsmarkt gelingt. "Vor allem die Jugendlichen bis 25 Jahre machen uns Sorgen", sagt Triers Agentur-Direktor Hans Dieter Kaeswurm. Denn die habeneinen Rechtsanspruch auf einen Ausbildungsplatz, Arbeitsplatz, zumindest aber auf gemeinnützige Beschäftigung. "Eine Vermittlung wird schwer", ist auch Sozialdezernent Bernarding überzeugt, der mit steigenden Kosten für die Stadt rechnet. Optimistisch ist dagegen der Kreis Daun. Er managt als einzige Kommune der Region die Alg-II-Finanzierung und Integration in den Arbeitsmarkt ohne Hilfe der Arbeitsagentur. "Wir sind ein überschaubarer Kreis. Und wir haben beste Erfahrungswerte mit dem Programm ,Arbeit statt Sozialhilfe'", ist Job-Center-Leiter Franz-Josef Jax überzeugt.

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