Tarif-Löhne kräftig im Aufwind

Die Lokführer fordern 31 Prozent mehr, und auch für andere Berufsgruppen gingen die Tariflöhne in diesem Jahr zum Teil kräftig nach oben. Eine Gefahr für Preisstabilität und Arbeitsmarkt? Nein, meint Wirtschafts-Experte Bert Rürup.

Berlin. Die gute wirtschaftliche Entwicklung sorgte bei den Gewerkschaften schon am Jahresanfang für kämpferischen Optimismus: Nach einer langen und schmerzlichen Phase der Reallohnverluste, so ihr Tenor, sollte endlich Schluss sein mit der Bescheidenheit. Sieben Monate später ist das Kalkül aufgegangen. "Die Tarifabschlüsse im ersten Halbjahr 2007 fallen im Durchschnitt deutlich höher aus als im vergangenen Jahr", konstatiert der Tarifexperte der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, Reinhard Bispinck. Fragt sich nur, wie viel Lohnzuwachs der wirtschaftliche Aufschwung vertragen kann. Der Konjunkturexperte des Hallenser Instituts für Wirtschaftsforschung (IWH), Udo Ludwig, hat dafür eine einfache Faustregel parat: "So lange sich die Tarifabschlüsse im Rahmen des Produktivitätszuwachses und der Preissteigerungsrate bewegen, sind sie nicht konjunkturschädlich". Den aktuellen Verteilungsspielraum beziffert Ludwig dabei auf rund 3,9 Prozent.Vor diesem Hintergrund waren die im laufenden Jahr ausgehandelten Lohnaufstockungen tatsächlich nicht überzogen. Aus dem rechnerischen Rahmen fallen nur der Pilotabschluss in der Metallindustrie (plus 4,1 Prozent) sowie der Tarifabschluss bei der Deutschen Bahn (plus 4,5 Prozent). Dafür waren andere Branchen deutlich genügsamer.Nominal 3,7 Prozent mehr

So verbuchten die Mitarbeiter im Bauhauptgewerbe einen Lohnzuwachs von 3,1 Prozent. In der westdeutschen Papierindustrie liegt das Plus bei 3,2 Prozent und in der Druckindustrie bei drei Prozent. Insgesamt schlossen die im DGB organisierten Einzelgewerkschaften bis zum Juli für rund 6,2 Millionen Beschäftigte neue Tarifverträge ab. Ihre durchschnittliche Einkommenserhöhung beziffert Bispinck auf 3,7 Prozent. Im Jahr 2006 waren es nur 1,5 Prozent. "Zweifellos sind die Tarifabschlüsse in diesem Jahr recht hoch. Aber sie verlieren an nachhaltiger Kostenwirkung, wenn man sich die Laufzeit der Tarifverträge und die Öffnungsmöglichkeiten anschaut", erläutert der Vorsitzende des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Bert Rürup, gegenüber unserer Zeitung. Unter Berücksichtigung der bisherigen Tarifabschlüsse mit ihren unterschiedlichen Laufzeiten im aktuellen Jahr sowie der Branchen mit länger laufenden Abschlüssen aus dem Vorjahr ergibt sich eine Tarifsteigerung für 2007 von nur noch 2,3 Prozent. Insofern liegen die Abschlüsse deutlich unter der konjunkturellen Schmerzgrenze. Zu beachten ist außerdem, dass die allgemeine Tarifbindung zunehmend bröckelt. In den alten Bundesländern werden nur noch 67 Prozent der Beschäftigten über ordentliche Tarifverträge entlohnt. Im Osten sind es lediglich 53 Prozent. Ob die bisherigen Gehaltssteigerungen auch dem Arbeitsmarkt gut tun, ist unter den Experten allerdings umstritten. Nach Ansicht von Ludwig sind sie dem Abbau der Arbeitslosigkeit nicht mehr förderlich, weil der Verteilungsspielraum weitgehend ausgereizt sei. Rürup sieht das etwas anders: "Aus meiner Sicht sind die Abschlüsse auch noch beschäftigungsfreundlich". Zwar würden niedrigere Lohnzuwächse den Beschäftigungseffekt sicher noch verstärken. "Aber man darf nicht vergessen, dass der Aufschwung irgendwann auch bei den Arbeitnehmern ankommen muss", argumentiert Rürup.

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