Wandel im Handel

TRIER/WITTLICH. Die Osterweiterung der EU rückt näher. Zum 1. Mai 2004 werden zehn Staaten in den gemeinsamen Markt treten und damit leichter Waren und Dienstleistungen anbieten, aber auch kaufen können. Schon heute haben viele Unternehmen Weichen für den Handel mit den mittel- und osteuropäischen Staaten gestellt - auch in der Region.

Sie sollen zu Handelspartner wie andere auch werden, und doch sind die mittel- und osteuropäischen Neu-Mitglieder (MOE-Staaten) der Europäischen Union etwas Besonderes. Denn die Länder des ehemaligen Ostblocks haben in knapp 15 Jahren eine wirtschaftliche Umstrukturierung vollzogen, die ihresgleichen sucht. Für viele deutsche Unternehmen sind die MOE-Staaten bereits Partner geworden, Beziehungen zu ihnen Tagesgeschäft. Zahlen aus dem Jahr 2000 belegen, dass rheinland-pfälzische Unternehmen mehr Waren in mittel- und osteuropäische Länder exportierten als heimische Unternehmen Waren von dort importierten. Der Wert der Exporte lag bei 2,18 Milliarden Euro, die Importe bei 2,07 Milliarden Euro. Zu den wichtigsten Handelspartnern imOsten gehören Ungarn, Polen, Tschechien, die Slowakei, Russland, Slowenien, Kroatien, Rumänien und Bulgarien. Die Arbeitsgemeinschaft der rheinland-pfälzischen Industrie- und Handelskammern geht nach dem Beitritt der MOE-Staaten zur EU mit einem weiteren Anstieg der Güterströme aus. Allerdings bewerten die Experten die Lage als "nur bedingt dynamisch". Im Vorfeld der EU-Mitgliedschaft seien bereits in den letzten Jahren die Handelsbeziehungen intensiviert worden. Doch rechnet man mit einer gewissen "stimulierenden Wirkung" durch den Wegfall der Grenzkontrollen. Die IHKs rechnen vor allem damit, dass höherwertige Produkte wie Maschinen, technische Anlagen, Feinmechanik, Elektro-Technik und Auto-Zulieferteile gute Chancen haben. Schon heute wickelt die rheinland-pfälzische Wirtschaft 17 Prozent ihres Außenhandels mit den östlichen Nachbarn ab. Dieser Erfolg ist auch auf die Mitte der 90er-Jahre abgeschlossenen Europa-Abkommen zurückzuführen, die den Handel für gewerbliche Güter liberalisiert haben. "Es gibt einige Unternehmen aus der Region, die schon vorzeitig aktiv waren", sagtChristina Grewe von der Trierer IHK, zuständig für den Bereich Auslandsmarktberatung. Aber seit einiger Zeit stellt sie wieder verstärkt Interesse an Informationen über MOE-Staaten fest. "Während der Handel mit Frankreich und den USA stagniert, haben Länder wie Polen oder Tschechien aufgeholt." Die Firma Clemens & Co. GmbH aus Wittlich war eines der ersten Unternehmen der Region, die im Osten Aufträge an Land gezogen hat. "In vielen Fällen wird es mit der Osterweiterung einfacher werden", glaubt Bernd Clemens, geschäftsführender Gesellschafter der Clemens Maschinenfabrik mit etwa 120 Beschäftigten. Denn mit dem 1. Mai 2004 entfallen für Unternehmer nicht nur psychologische Hürden, sondern auch Handelshemmnisse. Doch hat der Inhaber des 1952 in Zemmer gegründeten Unternehmens auch Kritik anzumelden. "Wer sich beispielsweise in Bulgarien als Winzer selbstständig macht, wird zu 50 Prozent von der EU finanziert. Für unser Geschäft dort ist das natürlich gut, nur ist die Arbeitskraft dort ohnehin billiger als hier, der Wettbewerb auf europäischer Ebene wird verzerrt", sagt Bernd Clemens, dessen Unternehmen Weinbaumaschinen, Kellertechnik, Weintanks und Sondermaschinen herstellt. Auch in Ungarn, Slowenien und Tschechien würden Investitionen in die Landwirtschaft gefördert. "Es ist schwierig zu beurteilen, ob wir wirklich ein Geschäft gemacht haben oder ob die Bezahlung ein Geschenk der EU ist", sagt der Unternehmer, der weltweit arbeitet und Kunden von Australien bis Zypern beliefert. Kontakte nach Osteuropa hat Clemens über Messen, Ausstellungen und Delegationsreisen des Wirtschaftsministeriums geknüpft. Inzwischen werden Geschäftspartner aus den neuen EU-Staaten in Wittlich geschult. Zwar spreche man in vielen Staaten Osteuropas deutsch, doch müsse man auch hier kulturelle Unterschiede beachten. Für Bernd Clemens sind das Verschlungene Geschäftswege oder extremer Formalimus. Und IHK-Expertin Christina Grewe fügt hinzu: "Man muss schnell und flexibel reagieren, um interkulturelle Stolpersteine zu vermeiden."Interkulturelle Stolpersteine

Besonders unklar für viele Unternehmer ist noch, ab wann welche Freiheiten gelten, und was beim Warenverkehr zwischen den alten und den neuen EU-Ländern zu beachten ist. "Vor allem bei der Rechtssicherheit hapert es noch. Wie Verträge abgeschlossen werden und ob Urteile jeweils anerkannt werden, ist nicht immer eindeutig", sagt IHK-Expertin Grewe. Weil aber weder die bisherigen noch die Jung-Mitglieder der EU alle Verpflichtungen zum 1. Mai 2004 erfüllen werden, gibt es Übergangsfristen. "Auf vielen Gebieten muss man bei Null anfangen", sagt Unternehmer Bernd Clemens. Er sieht aber auch Chancen: "Es gibt große ungesättigte Märkte mit weit weniger Wettbewerb als im übrigen Europa - und damit Absatzmärkte für uns."

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