Zahlen für die Ware Gesundheit

TRIER. Mehr Bürokratie und mehr Belastungen für sozial Schwache - die Gesundheitsreform geht eindeutig zu Lasten der Patienten. Die Ärzte hoffen, dass der Frust ihrer Kunden so groß wird, dass sie gemeinsam Druck auf die Gesundheitsministerin machen können.

Die Praxisgebühr kommt. Und die Ärzte müssen die zehn Euro von den Patienten kassieren. So viel steht fest. Mehr aber auch nicht. Denn eigentlich sollten die Ärzte für die Gebühr auch eine Quittung ausstellen. Doch das dafür vorgesehene Formblatt gibt es noch gar nicht. Bis die offizielle Quittung in einer Auflage von 100 Millionen gedruckt ist (kann bis April dauern), sollen die Ärzte auf einem Rezept bestätigen, dass die Gebühr bezahlt worden ist. Patienten müssen bluten

Ein Beispiel von vielen, das belegt, dass die Gesundheitsreform mit heißer Nadel gestrickt worden ist. Ab Januar wird es noch mehr Fallstricke geben. Zum Ärger der Versicherten, aber auch zum Ärger der Ärzte und Apotheker. "Nicht resignieren", lautet das Motto der Mediziner. Sie hoffen, dass die Patienten ähnlich frustriert sind von der Reform wie sie und sich mit ihnen solidarisieren, um den Druck auf Gesundheitsministerin Ulla Schmidt zu erhöhen. "Eine Solidarisierung zwischen Arzt und Patient war noch nie so leicht möglich. Wir sollten eine politische Welle auslösen", forderte Wolfhard Ottenhausen bei der jüngsten Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Trier. Langsam werde der Patient daran gewöhnt, wie im Kaufhaus für die Ware Gesundheit zu zahlen, glaubt auch KV-Chef Carl-Heinz Müller. Keine Frage: Es kommen harte Zeiten auf die Versicherten zu. Zwar müssen auch die Ärzte Einbußen beim Honorar hinnehmen. Doch wirklich bluten müssen die Patienten. Zusammen mit den beschlossenen Kürzungen (etwa bei der Pendlerpauschale oder der Eigenheimzulage) dürften Praxisgebühr und höhere Zuzahlungen die versprochenen Entlastungen durch das Vorziehen der Steuerreform wett machen. Zumal die von Schmidt zugesagten Senkungen der Kassenbeiträge auf 13 Prozent des Bruttolohns noch auf sich warten lassen. Das Defizit der gesetzlichen Kassen ist so groß, dass eine deutliche Beitragssenkung auf breiter Front Illusion ist. Dafür ist aber das Leistungsspektrum der Kassen ordentlich zusammengeschrumpft. Beispiel Fahrtkosten zum Arzt: Seit 1992 wurden in Härtefällen Fahrten zur ambulanten Behandlung von den Kassen übernommen. Ab Januar zahlen die Krankenkassen nur noch bei "zwingender medizinischer Notwendigkeit". Was das heißt, darüber haben sich die Mitglieder des Bundesausschusses Ärzte und Krankenkassen tagelang die Köpfe heiß geredet. Klar ist: Die Fahrt muss vom Arzt verordnet und vorher von der Krankenkasse genehmigt werden. Quittungen und Belege sammeln

Nur wenn der Patient aufgrund einer verordneten Behandlung außergewöhnlich häufig über einen längeren Zeitraum zum Arzt muss, etwa zur Dialyse, Strahlen- oder Chemotherapie und er keine andere Möglichkeit hat dorthin zu kommen außer mit dem Taxi, übernimmt die Kasse die Kosten. Fahrten zu Kontrolluntersuchungen oder das Abholen von Rezepten werden nicht mehr bezahlt. Ohne Zweifel gab es in der Vergangenheit bei den Krankenfahrten einen Mitnahmeeffekt: Nicht jede Fahrt war notwendig. Doch wer jetzt aufs Taxi in die Praxis angewiesen ist, hat erst mal jede Menge Bürokratie am Bein. Und genau wie bei den Zuzahlungen gibt es auch bei den Fahrtkosten keine Härtefallregelungen mehr. Eine vollständige Befreiung von Zuzahlungen gibt es ab 1. Januar nicht mehr. Künftig muss jeder Versicherte Zuzahlungen bis in Höhe der so genannten Belastungsgrenze leisten. Diese liegt bei zwei Prozent des jährlichen Bruttoeinkommens. Erst wenn die Summe aller Zuzahlungen diese Belastungsgrenze überschreitet, ist eine Befreiung für das laufende Jahr möglich. Wer chronisch erkrankt ist, braucht höchstens ein Prozent seines Bruttoeinkommens zuzuzahlen. Das heißt: Quittungen und Belege von Ärzten und Apotheken sammeln und bei der Krankenkasse einreichen.

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