Zurück im Beiboot

Berlin. Optisch passte zwischen Gerhard Schröder und Michael Sommer gestern fast kein Blatt Papier mehr, so eng mussten sich Kanzler und DGB-Vorsitzender in der fünften Etage des Willy-Brandt-Hauses um das eine Mikrofon drängeln.

Auch bei der Wortwahl vernahm man eine Art wiederbelebteEinigkeit - auffällig oft benutzte vor allem Sommer mit Blick aufdie Notwendigkeit und Durchsetzung von Reformen das Wörtchen"wir". Nach dem Treffen des SPD-Gewerkschaftsrates hatte erallerdings genug Grund dazu. Die Arbeitnehmervertreter bekamenvom Kanzler wieder ihren festen Platz an seiner Seite zugewiesen.Sie sollen ein gehöriges Wörtchen mitreden dürfen, wenn dierot-grüne Koalition in den kommenden Wochen zum Befreiungsschlagfür den Arbeitsmarkt und die sozialen Sicherungssysteme ausholenwill. Als Dankeschön schwenkte Sommer in Sachen Kündigungsschutzauf eine neue Marschrichtung ein. Ein "offenes und konstruktivesGespräch" ist es laut DGB-Chef gewesen. "Hohes Maß an Übereinstimmung"

Beide Seiten bekundeten ihre Bereitschaft zu strukturellen Reformen in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. In allen Details seien sie sich zwar nicht einig geworden, aber in den grundsätzlichen Fragen gebe es ein "hohes Maß an Übereinstimmung", so Schröder optimistisch. Das war in der Vergangenheit längst nicht so, die Liste der rot-grünen Pläne, gegen die der DGB im Kanzleramt heftig protestierte, ist immens lang. Der Niedersachse weiß jedoch: Ohne die Gewerkschaften wird er scheitern, wenn in den kommenden Monaten der Reformmotor auf Hochtouren gebracht werden soll. Also nahm Schröder die Arbeitnehmervertreter gestern vehement gegen Vorwürfe in Schutz, sie seien die Bremser der Nation. Und mit noch einem Köder holte er sie zurück ins Beiboot - an den in der letzten Legislaturperiode erweiterten Mitbestimmungsrechten werde nicht gerüttelt, meinte der Regierungschef. In Berlin wird schon seit längerem darüber spekuliert, dass Superminister Clement bei der Entrümpelung des Arbeitsrechtes auch die Mitbestimmung im Auge haben könnte. Ein klares Wort des Kanzlers in dieser Frage also. Beim Thema Kündigungsschutz hielt sich Gerhard Schröder hingegen gestern weiter vornehm zurück. Das Bild der Koalition in dieser Frage ist derzeit sowieso diffus: Von der SPD-Fraktion ist bekannt, dass sich dort eine klare Mehrheit gegen Änderungen ausspricht. Generalsekretär Olaf Scholz erklärte allerdings, es gehe jetzt um eine "bessere Handhabbarkeit". Veränderungen sind damit anvisiert. Nur welche? Gespalten präsentieren sich inzwischen die Grünen - eine deutliche Lockerung, wie sie die beiden Arbeitsmarktexperten Fritz Kuhn und Thea Dückert forderten, wurde von der Parteispitze erneut verworfen. Dessen aber noch nicht genug - in Berlin wird momentan über einen bereits fertigen Gesetzentwurf aus Clements Hause spekuliert, wonach Gekündigte in Zukunft zwischen Klage und Abfindung wählen können. Das Ministerium dementierte, und der Kanzler meinte, man solle nicht jedes Papier gleich als Position des Ministers bewerten, also nicht so ernst nehmen. Jede seiner Äußerung vielleicht auch nicht? Clement hatte nämlich am Wochenende vor einer Blockade bei der Reform des Kündigungsschutzes mit den Worten gewarnt: "Dann werden wir an diesem Punkt scheitern. Und dann werde ich scheitern. Ich werde ein Scheitern nicht in Kauf nehmen." Dem Minister war dies als indirekte Rücktrittsdrohung ausgelegt worden, von Regierungsseite hieß es nur, diese Bewertung sei eine "Überinterpretation". Insgesamt also ein Durcheinander an der Kündigungsschutz-Front - bis gestern. Denn Kanzler und DGB, einst harte Oppositionelle, fanden einen Weg, hinter dem sich nun alle Seiten versammeln sollen. Der lautet "Bestandsaufnahme, was beim Kündigungsschutz tatsächlich beschäftigungshemmend ist", so Sommer. Man darf gespannt sein, was dabei herum kommt.

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