Viele Vorurteile, wenig Anerkennung

Trier · Jan Eichhorn ist ein Exot in seiner Branche. Denn er ist Erzieher in einer kommunalen Kita. Auch wenn der Anteil seiner Geschlechtsgenossen in Kitas, Horten und Jugendeinrichtungen in der Vergangenheit gestiegen ist, ist der Beruf für viele Männer dennoch unattraktiv. Der aktuelle Streik der Erzieher könnte dazu beitragen, mit Vorurteilen gegenüber "Kindergärtnern" aufzuräumen.

 Zeigt sich solidarisch mit seinen Berufskollegen und würde selbst auch in Streik treten, wenn seine Einrichtung von den Gewerkschaften dazu aufgerufen würde: Jan Eichhorn, einer nur sieben Prozent Männern im Kita-Bereich der Region Trier. Foto: privat

Zeigt sich solidarisch mit seinen Berufskollegen und würde selbst auch in Streik treten, wenn seine Einrichtung von den Gewerkschaften dazu aufgerufen würde: Jan Eichhorn, einer nur sieben Prozent Männern im Kita-Bereich der Region Trier. Foto: privat

Foto: (g_wirt )

Trier. Jan Eichhorn kommt in den Bauraum. Zwei Fünfjährige spielen gerade mit ihren Feuerwehrautos. Rrrumms. Die Fahrzeuge knallen gegeneinander, die Jungs wälzen sich über den Spielteppich, gröhlen. Jan Eichhorn zeigt sich unbeeindruckt, lässt die Kinder aber nicht aus den Augen. Er setzt sich auf die gegenüber liegenden Holzstufen der erhöhten Spielebene, die Jungs im Blick. Die zweijährige Karin (Namen geändert) hockt sich neben ihn, setzt ein kleines Auto auf eine Rampe - und lässt los. Das Auto saust runter, bis auf den Spielteppich. "Das war ganz schön weit", lobt der Erzieher. "Und zwei Autos gleichzeitig? Geht das schon?", fordert er Karin. Sie setzt zwei Autos auf die Rampe, lässt los - und staunt. Die Autos sausen über die Rampe, das Mädchen lacht stolz.
Jan Eichhorn hat es wieder einmal geschafft, ein Kind zu fordern und Selbstbewusstsein zu fördern. Etwas, was für Außenstehende womöglich als nichtig erscheint, von dem das Kind aber lange zehrt und das es nach und nach zu einem selbstbewussten Menschen macht. "Bildung, auch Persönlichkeitsbildung, die nicht stattfindet, ist teurer als die, die schon früh ansetzt", lautet seine Devise. Jan Eichhorn liebt es, Anlaufpunkt für die Kinder seiner Kita zu sein, sie in ihren Entwicklungen zu unterstützen. "In der Kita hat man eine extreme Verantwortung für die Kleinsten, muss über Fachliches, aber auch über die Familien informiert sein", sagt der 24-Jährige.
Dabei ist ihm die pädagogische Arbeit quasi in die Wiege gelegt worden. In der Familie gilt soziale und ehrenamtliche Arbeit als selbstverständlich. "Da wurde der Grundstein für meine persönliche Einstellung gelegt", sagt er. Nach der Realschule macht er die zweijährige Ausbildung zum Sozialassistenten, danach drei Jahre die Ausbildung zum Erzieher an der bischöflichen St. Helena-Schule in Trier. Als einer von drei Männern in der Ausbildung ist er ein Exot, doch er ist "immer total stolz auf seine Ausbildung gewesen". Dabei bekommt er während seiner fünfjährigen Ausbildung keine Vergütung und verdient heute gerade 2400 Euro brutto im Monat. Nichts, wovon man Eigentum kaufen und eine Familie ernähren kann. Ein Beruf, der auch deshalb für viele Männer unattraktiv ist. Und, weil wenig Aufstiegschancen bestehen.
Dass Jan Eichhorn und sein Beruf angefeindet werden, hat er zunächst nicht bemerkt. "Die Euphorie hat mich taub gemacht." Doch Äußerungen wie "Warum tust du dir das an?", "Du spielst ja nur den ganzen Tag!", "Das ist der Hammer, du arbeitest ja nur mit Frauen" hört er inzwischen häufiger, vor allem, seitdem die bundesweit rund 240 000 Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst vor drei Wochen in den Streik getreten sind. Seine Einrichtung ist noch nicht zum Streik aufgerufen. Doch für Jan Eichhorn steht fest, dass er sich seinen Kollegen anschließen würde. "Die Bedeutung des Erzieherberufes wird nicht gesehen", bemängelt er. Die aufgekommene Aggression und Provokation von vielen Seiten verletzen ihn. Dabei erfordere der Job einen hohen Einsatz, körperlich, geistig und emotional. Wenn viele junge Leute diesen Beruf nicht ergreifen wollten, zeige dies auch, "wie anspruchsvoll er ist. Er erfordert hohe Professionalität", sagt er. Deshalb gehe es um Gehalt, aber auch um eine bessere Anerkennung und zufriedenstellendere Betreuung der Kinder.
So hat Jan Eichhorn es nicht nur geschafft, Karin zu fördern, sondern auch Katharina weitergeholfen. Denn das Mädchen hatte eine nicht zu ergründende Angst vor Männern. Niemand kam an sie heran. Nach einem Dreivierteljahr erst hat sie ihre Angst überwunden, dank dem Erzieher. "Ich war nur da, habe mich als Ansprechpartner angeboten - und es hat funktioniert."Extra

In Deutschland arbeiteten 2013 insgesamt 19 055 männliche Fachkräfte, Praktikanten und ABM-Kräfte in Kindergärten (ohne Schulhorte), Quelle: Magazin Süddeutsche Zeitung, Mai 2014. Das entspricht einem Männeranteil von gerade vier Prozent. In Rheinland-Pfalz liegt ihr Anteil noch unter drei Prozent. In der Region Trier dagegen liegen die Zahlen höher. Von den zum September 2014 arbeitenden 5453 Erziehern in der Kinderbetreuung und -erziehung machen die Männer mit 412 gut sieben Prozent aus. Nimmt man Sozialarbeiter und Heilpädagogen hinzu, macht ihr Anteil laut Arbeitsagentur 15 Prozent aus. Was den Fachkräftebedarf angeht, fehlen laut einer Bertelsmann-Studie 120 000 Vollzeitstellen in Kitas und Horten. Im Schnitt hat im Osten eine Erzieherin 6,3 Kleinkinder zu betreuen, in Westdeutschland sind es 3,8. Empfohlen sind drei Kinder pro Erzieherin. sas

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