Allein unter Akten in Wittlich - Perspektiven auf die Ausstellung „Das gefährliche Weib“

Wittlich · Die Darstellung des Menschen als Motiv in der Kunst kennt viele Varianten. Eine wird Akt genannt. Überwiegend weibliche Akte aus der Zeit um 1900 sind in Wittlich zu sehen. Manche Werke wirken beklemmend verklemmt. Wie passt dazu der Ausstellungstitel „Das gefährliche Weib“?

Sie trägt Strapse bis zum Knie, sonst nichts. Effektvoll ist ihr Körper für den Betrachter ausgeleuchtet. Das Licht gibt den Brüsten Form, reicht bis zwischen die Beine.

Aha. Das ist also ein gefährliches Weib. Ein besonders gefährliches womöglich! Immerhin, diese Nackte, die eine Art teuflischer Faun über einer gaffenden Männermenge hält, ist die zentrale Illustration, mit der für "Das gefährliche Weib" geworben wird. So heißt die Ausstellung in Wittlichs Altem Rathaus, die demnach gleich mehrere gefährliche Weiber versammelt.

Muss man Angst haben? Recken sie ihre Brüste vielleicht wie Waffen? So, wie die bestrapste Dame auf der "Feilbietung"?
Feilbietung heißt nämlich die oben beschriebene Grafik von Otto Greiner aus dem Jahr 1910. Sie ist gleichsam optischer Ausstellungsbotschafter und erzählt mit den anderen Grafiken vom Blick auf die nackte Frau, ihren Körper.
"Feilbietung" bedeutet "Anpreisung zum Verkauf" auch "Versteigerung". Ja, man kann sich vorstellen, wie die Nackte gegen das beste Gebot verkauft wird. Auch als Grafik.

Denn diese "Erotischen Phantasien in der Kunst um 1900", so der Untertitel der Schau, sind allesamt Grafiken, mit denen Geld zu machen ist: Sie dienen der Vervielfältigung, sind keine exklusiven, einmaligen Werke. Vielleicht sind sie auch im Auftrag eines Betrachters entstanden?

So wäre das Motiv der Nackten gleichsam bewusst für viele Augen inszeniert und gedacht worden, eine erotische Darstellung mit der Funktion etwa eines Playboy-Titels, der sich in der Inszenierung der Frau auf Vor-Bilder und Zeitgeist bezieht. Denn Nackte ist noch lange nicht gleich Nackte: Es gibt naturgemäß viele Möglichkeiten, einen weiblichen Akt ins Bildviereck zu stellen, legen, hinzusetzen. Bestimmte Stellungen werden dabei über die Jahrhunderte wiederholt und variiert. Die Frage ist auch: Was stellt man dazu? Meist etwas, das die erotisierende Situation verstärkt oder mit Hintergrundgeschichten inhaltlich auflädt.

So ist die Nackte in der europäischen Kunstgeschichte meist zunächst Figur einer religiösen, mythologischen oder allgemein historisch bedeutenden Geschichte, wie die nackte Eva, Venus, Aphrodite, Diana und so weiter.

Solche biblischen Gestalten oder Götter bevölkern seit jeher die Bildwelten. Dabei ist nicht zu vergessen: Die Geschichte der Kunst ist überwiegend eine von Männern als Machern wie Käufern beziehungsweise Auftraggebern. Jahrhundertelang war es die Kirche, ein Männerbund, die die Künstler verpflichtete, dazu der Adel und erst lange später erfolgreiche Bürger, die sich Kunst leisten konnten.

Mit ihnen emanzipierte sich auch die Nackte sozusagen: Diese Emanzipation, auch dafür passt das Wort, führte zu handfesten Skandalen. Etwa als eine Prostituierte als Motiv eines Gemäldes diente! Unvorstellbar! Doch das war Eduards Manets Olympia, die sich 1862 barbusig auf dem Sofa räkelte, in der gleichen Pose wie Tizians Venus von Urbino von 1538! Die allerdings war ja "Venus"! Das adelte sie sozusagen oder auch den, der sie ansah.

Für solche Bildungsgeschichten auch als Deckmäntelchen war bei einem legendären Gemälde kein Platz mehr. Deshalb galt es als absolut unerhört: Courbets Gemälde der weiblichen Scham: als vergrößertes Detail eines Frauenkörpers, dessen Kopf, Arme und so weiter jedoch ausgeblendet sind. Titel "Der Ursprung der Welt", gemalt 1886. Für die wenigen, die es zu Gesicht bekamen, entweder genial oder ein Schock.

Das alles war vor der Zeit, in der die nun in Wittlich zu sehenden Arbeiten entstanden sind. Und all die weltberühmten Arbeiten einer Eva, Venus, Diana oder später einfach "Badenden" sind geistige Vorläufer der Grafiken, deren Vor-Bilder.
Deshalb wäre es interessant gewesen, eine Gegenüberstellung mit früherer und auch heutiger Darstellung weiblicher Akte als erhellenden Ansatz zu bieten.

So bleibt der Betrachter in diesem fast reinen Ausstellen der Nacktheit der Frau seltsam ratlos allein unter Akten, allein unter den teils auch beklemmend verklemmten Werken, zurück.
Und man fragt sich, in welcher der gezeigten erotischen Phantasien sich denn das gefährliche Weib zeigen soll? Kurator Dr. Richard Hüttel hat dazu Erklärungen gefunden, warum der Titel: "Das gefährliche Weib" gewählt wurde. Und siehe da: Die Gefährlichkeit existierte demnach in der Phantasie der Männer! So steht es im Flyer zur Schau: "Die Idee vom gefährlichen Weib gehört zu den männlichen Obsessionen in der Kunst um 1900. Parallel zur Emanzipationsbewegung der Frauen entwickelten sich die unterschiedlichsten maskulinen Abwehrhaltungen."
Hässliche Alte? Fehlanzeige.

Abwehrhaltung in Form eines Bildes einer ihren Körper präsentierenden Nackten? Da schwächelt die Argumentation ein wenig. Und dass die Frau überwiegend als dekorative Körperträgerin gezeigt wird, - keine ist alt, häßlich, fett, hat unschöne Brüste oder Ähnliches - ist bemerkenswert. Wo ist denn da die im Flyer beschworene "Männlichkeitskrise", die diese grafischen Blätter illustrieren sollen?
Hier wäre eine stärker erläuternde Führung der Besucher wünschenswert, um die Möglichkeit des rein lüsternen Blicks auf die Frau als sexuelles Objekt zu erschweren, wenn man schon den Anspruch hat, Kunst zu zeigen und nicht einfach Pornografie. Warum eigentlich nicht?

Die Damen tragen strapsähnliche Strümpfe, präsentieren Brüste, biegen sich in Verführerposen, lächeln, träumen, wickeln sich Stoffe vom Körper, blicken nackt ins Nichts oder spielen mit allerhand vom Tier bis zur Pflanze, meist gut frisiert: Männliche Obsessionen? Ja! Gefährliches Weib? Nein. Dabei ist die Qualität unterschiedlich. Unter anderem sind Arbeiten von Max Klinger, Franz von Stuck, Otto Greiner und Erich Godal zu sehen.

Die Ausstellung mit 50 grafischen Blättern aus der Zeit um 1900 aus der Sammlung Bodo Pientka, Leipzig, ist im Alten Rathaus noch bis zum 14. August zu sehen. Der Eintritt für Erwachsene kostet drei Euro. Öffnungszeiten: dienstags bis freitags: 11 bis 17 Uhr, sonn- und feiertags: 14 bis 17 Uhr.

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