Als Weihnachten verschwand

WITTLICH. Mit 50 Dollar verließ er vor 55 Jahren Wittlich, um sein Glück in Kanada zu suchen. Heute ist Hans Hubert 73 Jahre alt. Bei einem Heimatbesuch erzählt er, warum er in Vancouver an Weihnachten Wittlich nicht vergessen kann.

"Weihnachten? Da haben wir alles verloren. Ich hätte ein ganz anderes Leben gehabt und wäre zu Hause geblieben", sagt Hans Hubert. Er feiert das Fest nicht gern, auch wenn seine Frau in Vancouver schon alles für Heilig Abend vorbereitet. "Wenn ich nach Hause komme, sind im Garten Lichter an den ganzen Bäumen. Und unser Weihnachtsbaum hat elektrische Kerzen aus Deutschland. Die sehen aus wie echte Kerzen", sagt der Mann, der einmal Könens Hänschen gerufen wurde. Das war, als er im Sommer jeden Tag im Wittlicher Schwimmbad war und im Winter mit Schlittschuhen durch die ganze Stadt fuhr. "Alles war vereist. Wir sind den Schlossberg runter gerast. Es gab ja damals kaum Autos", erinnert er sich an schöne Zeiten. Jungs zielen mit "Flobber" auf "Jabos"

Schön fand er als Junge zunächst auch seine Kriegsspiele: "Jeder von uns hatte eine Flobber. Das ist Weddlia Platt und heißt Kleinkaliber. Damit haben wir von den Sandsteinfelsen im Mundwald auf die Jabos, die Jagdbomber, geschossen. Und wir haben Boote gebaut. Aus den V 1, den Eifelschrecks. Die waren ja aus Aluminium. Die haben wir halbiert und sind damit auf der Lieser gepaddelt", sagt er und muss lachen. Ob sich keiner mit dem explosiven Spielzeug verletzt hat? "No, no!" Er schüttelt den Kopf und seine Augen funkeln: "Wir haben auch die Pulverstöcke aus den Bomben angesteckt. Die gehen ab wie Raketen. Das hat gekracht! Und mit Handgranaten haben wir gefischt. Eine Granate und man hatte fünf bis zehn Fische." Dann wurde seine Familie ausgebombt. Ein Schicksal, dass vielen Wittlichern widerfuhr. Aber Könens Hänschen hat auch noch andere unheilvolle Ereignisse gesehen: "Ich weiß noch, wie sie in die Synagoge Steine in die Fenster geworfen haben. Und wir hatten eine Familie in der Nachbarschaft. Hieß sie Wendel? Die hatten ein Textilgeschäft, und die waren nachher einfach weg." - Weg, einfach weg wie sein Zuhause an Weihnachten 1944. "Es war am 24. Dezember um 13.30 Uhr. Das werde ich nie vergessen. Wir wohnten an der Ecke Untere Kordel. Da war unser Lebensmittelgeschäft und in der Klostergasse die Werkstatt meines Bruders mit den Fahrrädern. Der Großvater hat wie jeden Mittag Zeitung gelesen. Mein Bruder Max und ich haben gesagt: ,Komm, wir gehen raus die Flieger zählen´. Da konnte man schon die Bomben hören. Uns ist nichts passiert. Großvater war tot. Von ihm fand ich nur ein Bein. Es hing am Reklameschild einer Bäckerei." Der Mann, der später mit nichts als seiner Arbeitskraft in Kanada als Holzfäller ein neues Leben begonnen hat, erlebte als kleiner Junge in Wittlich an Heilig Abend eine Katastrophe. "Ich war elf Jahre. Meine Muter hat mit der Großmutter alles im Weinkeller Frühauf überlebt. Der war in der Karrstraße. Als wir zur Mutter wollten, lag eine Frau vor dem Keller. Sie war tot. Und unser Lebensmittelgeschäft, das Wohnhaus, die Lager, die Werkstatt, alles war weg. Als Einziges haben wir 50 Pfund Margarine aus dem Geschäft gerettet. Die lagen im Karton auf der Straße. Die Margarine kam ins Wägelchen, Oma dazu, sonst nix. Damit sind wir in eine Jagdhütte nach Minderlittgen gezogen. Auf dem Weg habe ich auf Wittlich runter geguckt. Es hat ausgesehen, als sei die ganze Stadt verbrannt. Sehr, sehr schrecklich ist dieses Bild", sagt Hans Hubert. "Okay", schließt er in breitem Amerikanisch die Erinnerung an diesen Tag und erzählt weiter: "Und für mich gab es nach dem Krieg keine Arbeit. Deshalb bin ich nach Kanada." Dort hat er es zu Wohlstand gebracht, ein schönes Haus mit Pool im großen Garten wartet auf ihn, wenn er wieder in seine Wahlheimat fliegt. Er sagt: "In Vancouver habe ich Heimweh nach Wittlich, und jetzt habe ich Heimweh nach Kanada. Komisch, was?" Ob er noch weiß, was er sich als kleiner Junge in Wittlich zu Weihnachten wünschte? Er weiß es: "Ich wollte unbedingt ein Paar Stiefel. Die sollte ich kriegen, doch auch sie waren nach den Bomben weg." Trotz der schrecklichen Kriegsweihnacht, der Schicksalsschläge, - immerhin ein kleines Glück hat er sich selbst geschaffen: "Ich bin immer so gern schwimmen gegangen. Über 100 Meter Brust war ich der Zweitbeste in Rheinland-Pfalz. Und Schwimmen, das mache ich immer noch jeden Tag in meinem Pool."

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