Am Anfang war das Schwein

WITTLICH. Das Jahr 56 nach Meehsen-Mattes: Es ist Säubrenner-Zeit. Wie jedes Jahr seit der ersten Kirmes lässt sich Wittlich wieder erobern, und wie immer ist der Schuldige schnell ausgemacht – ein kleines Schwein. Ahnungslos hat es ein Möhrchen verputzt und ebenso ahnungslos damit die Säubrenner-Sage begründet. Ein Schauspiel, das wieder hunderte Gäste in den Stadtpark zog und mehr als zehntausend Besucher zum Festumzug nach Wittlich.

Zurück ins Mittelalter, zurück zur Zeit des Ritters von Ehrenburg, der 1397 die Stadt belagerte: Dicht an dicht drängen sich die Menschen vor der Freilicht-Bühne im Stadtpark. Ein neues Jahr beginnt für die Wittlicher - wie immer am dritten August-Wochenende, eine Art Alternativ-Silvester. Es ist Säubrenner-Zeit, die Zeit, in der sich Wittlich neu erfindet und dabei auf Altbewährtes baut. Wer noch keinen Grund zum Feiern hat oder wenigstens wissen will, warum in Wittlich seit der ersten Säubrenner Kirmes 1950 inzwischen um die 100 000 Menschen an den vier Festtagen außer Rand und Band sind, sieht sich das Schauspiel an, wie alles begann. Mit großem Tam-Tam ziehen die Gerolsteiner Stadtsoldaten ein. Zum "Jäger aus Kurpfalz" singen die ersten Säubrenner munter mit, während ein kleines Schwein, fast unbemerkt, unter einem Baum auf seinen großen Auftritt wartet. Wohlwissend, was als nächstes kommt, hebt das Schweinchen schützend seine Plüschpfoten über die Ohren: Auftritt Böllerschützen Neuerburg. Die feiern dieses Jahr ihr 20-jähriges Bestehen und sind damit alt genug, um Weisheiten zu verkünden: "In Neuerburg sind die Mädchen schöner als in Lüxem" geben die zum Besten. Auf dass es nicht viele Lüxemer hören. Doch kaum, dass sie sich vor der Stadttor-Kulisse postiert haben, halten sich die Zuschauer sowieso die Ohren zu, um die Trommelfell-gefährlichen Schüsse zu überstehen. Besondere Zutat im Jubiläumsjahr: Die Neuerburger fackeln ein Feuerwerk ab. Säubrenner Kirmes hat eben etwas von Silvester. Wittlich auf dem Weg zum Schweine-Rekord

Und wie es sich an Silvester gehört, ist auch der Kirmes-Auftakt die Zeit für einen kritischen Jahresrückblick. Den übernimmt traditionsgemäß Adi Kaspari als Schweinehirt Stecha-Mattes. "Wir könnten den Ritter von Ehrenburg ja mit einer Plakette ehren", schlägt er vor. "Dann hätten wir nicht viel Arbeit. Kommt er, ist die Plakette eben noch nicht fertig. So wie bei Christina Rau und der Meistermann-Plakette. Was für eine Blamage!", empört sich Mattes. Und mahnt weiter: "Wir trinken hier Wittlicher Wein, nicht dat Bernkasteler Bachschisser-Gesöff." Womit er auf ein Zitat des ehemaligen Bürgermeisters Matthias-Joseph Mehs anspielt, der bei der ersten Säubrenner Kirmes gesagt hat: "Das sollen uns die Bernkasteler Bachschisser erst mal nachmachen und aus ihrem Spottnamen ein Fest machen." Es kommt, wie es kommen muss: Dem Nachwächter fehlt der Bolzen, er trinkt einen Schnaps, weil er dann die besten Ideen hat, steckt eine Mohrrübe vor's Tor und denkt nicht an das kleine Schwein, das kurz drauf das Möhrchen verputzt und damit dem Feind Tür und Tor öffnet. Doch so schnell gibt Wittlich nicht auf. Bürgermeister Ralf Bußmer schenkt auf dem Marktplatz den Belagerungstrunk aus, um die Eroberer milde zu stimmen. Doch Buße muss sein: Tags drauf geht's den Schweinen an den Kragen. 22 Vereine ziehen beim historischen Festumzug durch die Stadt, um die ersten Säue einzuholen. Sonntagmittag steht der Schweine-Zähler auf 40. Das Jahr 56 nach Meehsen-Mattes könnte ein Rekord-Jahr werden. Weitere Berichte Seite 10 und 28

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