Auf Spurensuche im jüdischen Wittlich

WITTLICH. Die Geschichte der Juden als wichtiges Element der Stadtgeschichte erleben: Das kann, wer sich mit Dr. Marianne Bühler vom Emil-Frank-Institut auf Spurensuche begibt.

Noch leben einige, die persönliche Erinnerungen an jüdische Nachbarn, Viehhändler und Kaufleute haben, an eine Freundin, der man ins Poesiealbum geschrieben hat, an einen Freund, der beim Klickerspielen auf der Gasse dabei war. Allmählich jedoch sterben sie, und folgende Generationen sind darauf angewiesen, dass Menschen wie die promovierte Theologin Marianne Bühler, pädagogische Mitarbeiterin im Emil-Frank-Institut, sie durch den jüdischen Teil ihrer Stadtgeschichte geleitet. "Meist beginne ich am Viehmarktplatz", berichtet Bühler. Der Name verrät es: Hier wechselte an regelmäßig durchgeführten Markttagen das Vieh den Besitzer. Die jüdischen Viehhändler wohnten meist in den Kordeln, in der Wall- und Oberstraße. Berufsgruppe Nummer zwei, in der jüdische Mitbürger hauptsächlich ihr Geld verdienten, waren die Kaufleute. Wo heute Freckmann und Biogate ihre Waren verkaufen, taten es zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Familien Ermann-Bach (Lebensmittelgroßhandel), Bender und Emil Frank (beides Textilhäuser). Auch die chemische Fabrik, seinerzeit ein wichtiger Arbeitgeber, gehörte einem Ermann. Sein Reichtum schützte jedoch weder Alfred noch Gattin Bella Ermann davor, in Sobibor ermordet zu werden; nur die Söhne überlebten. Von Alfreds Bruder Otto Ermann besitzt das Emil-Frank-Institut die Kopie der Sterbeurkunde. Am 4. Februar sei er in Auschwitz, Kasernenstraße, verstorben, Mutter Gudela wohnhaft in Theresienstadt. Todesursache: Herzklappenfehler. Gleich gegenüber der Markusschule unterrichtete Lehrer David Hartmann in der einklassigen jüdischen Schule. Man erinnert sich noch an die ehemaligen Räume des Kinderschutzbundes in der Kirchstraße. Etwa dort tummelten sich einst die Kinder auf dem Schulhof - bis zur Reichspogromnacht 1938, nach der die Schule geschlossen blieb. Hartmann war auch für den Gottesdienst in der 1910 eingeweihten neuen Synagoge zuständig. Die alte hinter dem heutigen "Lütticken am Markt" war zu klein geworden für die aufstrebende, fest ins kleinstädtische Leben integrierte jüdische Gemeinde. Bühler: "Der Umzug war damals ein Festakt, an dem die ganze Stadt teilnahm." Mit der ständigen Ausstellung, Toraschrein, Gedenkstein und mit der unvergleichlichen Atmosphäre überhaupt ist die Synagoge für die Theologin einer der schönsten Räume der ganzen Stadt geworden.In der Oberstraße lebten die letzten 27 Juden

Vielleicht 100 Meter entfernt liegen Wittlichs Deportationshäuser. Aus der Oberstraße 54 und 56, wo die letzten 27 Juden der Stadt, eingepfercht, am Ende leben mussten, wurden sie 1941 und 1942 abtransportiert. Zwischenziel waren unterschiedliche Konzentrationslager, Endziel in jedem Fall ihre Ermordung. Auf besonders eindrückliche Weise zeigt der jüdische Friedhof außerhalb der Stadt die lange, aber auch gebrochene Geschichte derer, die hier ihre letzte Ruhestatt fanden. "Gebrochen im wahrsten Sinne des Wortes", so Bühler, denn die Zeichen mutwilliger Zerstörung sind nach wie vor sichtbar. Die jüngsten Grabsteine tragen deutsche statt hebräische Schriftzüge: David Hartmann, der den christlichen Steinmetzen die korrekte hebräische Schreibweise hatte zeigen können, war in Israel. Trotz aller Schwere: Die meditative Ausstrahlung dieses Ortes, an dem die ältesten Gräber Wittlichs überhaupt stehen, liebt Bühler sehr. Und sie kommt immer wieder gerne her.

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