Ausbildungssuche mit Handicap: Der lange Weg zum Wunschberuf

Klausen · Marina Kettern hat vor vier Jahren ihr Gehör verloren. Für die 22-jährige Frau aus Klausen ist das kein Hindernis, eine Ausbildung zu machen. Bei der Realisierung ihres Traums stößt sie jedoch immer wieder auf Hinder- nisse.

Marina Kettern ist 22 Jahre alt, mag Pferde, liest gerne, verbringt viel Zeit mit ihrer Familie. Und sie leidet unter einer seltenen Krankheit: Als einer von 40 000 Menschen ist sie an Neurofibromatose Typ 2 erkrankt (siehe Info). Durch die Folgen der Krankheit hat die junge Frau über Jahre hinweg ihr Gehör verloren und ist vor etwa vier Jahren völlig taub geworden - was sie aber nicht daran hindert, wie gesunde Menschen zu leben und zu arbeiten. "Ich bin ja nicht geistig, sondern hörgeschädigt", sagt die junge Frau, die oft mit einer Schriftdolmetscherin (siehe Hintergrund) kommuniziert.

"Eine Schriftdolmetscherin kostet 75 Euro pro Stunde", sagt Annegret Bepler, die Marina Kettern als solche begleitet. Ihre Kunden kommen, so sagt sie, hauptsächlich aus dem benachbarten Luxemburg. Dass Hörgeschädigte das Angebot in Deutschland annehmen, sei selten. Die Erfahrungen von Marina Kettern haben gezeigt, dass viele Menschen Hörgeschädigte als geistig behindert ansehen und Menschen mit Hörbehinderungen oft nicht ernst genommen werden, wie sie sagt.

Für die junge Frau selbst sind ihre Erkrankung und deren Folgen kein Hindernis, einem Beruf nachzugehen oder eine Ausbildung zu absolvieren. Doch auch auf potenzielle Arbeitgeber scheint ihre Krankheit abschreckend zu wirken. Denn bisher bekam sie auf ihre Bewerbungen ("Es waren auf dem Papier mehr als hundert, gefühlt aber tausend Stellen.") keine positive Antworten, mehr als ein Vorstellungsgespräch oder ein Praktikum bekam sie nicht. Beworben hat sie sich vorwiegend bei Verwaltungen, Dienstleistern und Unternehmen, bei denen sie im kaufmännischen Bereich arbeiten will. Berufe, die auch mit Hörschädigungen möglich sind.

Dabei wollte sie eigentlich in eine andere Richtung gehen. Marina Kettern, die derzeit in einer Berufsmaßnahme in Neuwied arbeitet und mehrere Sprachen spricht, wollte studieren. Ihr Ziel: Germanistik und Französisch auf Lehramt. Nach der Diagnose der Neurofibromatose hat Marina Kettern, die das Wittlicher Cusanus-Gymnasium besucht hatte, ihren Realschulabschluss an der Wilhelm-Cüppers-Schule in Trier, einer Schule für Hörgeschädigte, abgelegt. An einem Berufskolleg in Essen wollte sie ursprünglich das Abitur machen.

Kettern: "Ich hatte jedoch nach zwei Jahren mit ständigem Pendeln oft Heimweh, da ich sehr heimatverbunden bin." Wieder zurück in der Heimat, versuchte sie, unterstützt von Schriftdolmetschern, ab 2014 am Angela-Merici-Gymnasium in Trier ihr Abitur zu machen. Aber: "Im November wurde ich an der Wirbelsäule operiert. Ich hatte dort einen Tumor, der sehr spät erkannt wurde. Dadurch kam es zu hohen schulischen Fehlzeiten."

Am Ende der elften Klasse musste sie sich dann, wegen der krankheitsbedingten Fehlzeiten, entscheiden, ob sie die elfte Klasse erneut wiederholen wollte oder nicht, und brach die Schule ab. Das war im Sommer 2015. Nach einem Freiwilligen Sozialen Jahr und mehreren Praktika ging sie dann auf die Suche nach einem Ausbildungsplatz. "Ich möchte vor allem etwas machen, wo ich meine Fähigkeiten einsetzen und ausnutzen kann. Etwas, was mir auch einen gewissen kreativen Freiraum lässt", sagt sie.

Trotz ihrer bisher schlechten Erfahrungen gibt Marina Kettern nicht auf und will weiter um ihre Chance kämpfen, sagt aber auch: "Unterstützung von außerhalb erwarte ich keine mehr."

Schriftdolmetscherin
Schriftdolmetscher schreiben das gesprochene Wort wortwörtlich oder in zusammengefasster Form möglichst schnell mit, um es hörgeschädigten Menschen zu erlauben, Reden, Vorträgen oder Ähnlichem durch Mitlesen zu folgen. Hierbei ist von zentraler Bedeutung, dass durch den "Echtzeitcharakter" eine aktive Teilnahme der hörgeschädigten Person ermöglicht wird. Schriftdolmetschen versteht sich (in Abgrenzung zum Gebärdensprachdolmetschen) primär als Angebot für schwerhörige oder spätertaubte Menschen, die meist oft nicht oder nur sehr eingeschränkt die Gebärdensprache beherrschen, aber der Schriftsprache gut folgen können.

Im Fall von Marina Kettern spricht ihre Schriftdolmetscherin Annegret Bepler via eines speziellen Geräts das Gesagte nach, die Worte erscheinen dann an einem Bildschirm, von dem Marina Kettern abliest.

Neurofibromatose Typ 2
Die Neurofibromatose Typ 2 (NF2) ist eine Krankheit, bei der sich gutartige Tumore im zentralen Nervensystem wie dem Gehirn und Rückenmark bilden. Besonders häufig ist der Hörnerv betroffen. Sehr oft entwickeln sich die Tumore am achten Hirnnerv, dem Hör- und Gleichgewichtsnerv. Neben der Tumorbildung kommt es oft auch zu einer krankhaften Veränderung der Augenlinse. Die Neurofibromatose Typ 2 ist eine seltene Erkrankung: Einer von 40?000 Menschen ist betroffen. Somit ist sie auch deutlich seltener als NF1, an der einer von 3000 Menschen erkrankt. Die Neurofibromatose Typ 2 wird häufig erst im Erwachsenenalter entdeckt, da die Symptome relativ spät auftreten.

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