Caruso und Blauer Heinrich

Erster Ehrenbürger der Stadt ist Matthias Mehs. Diese Auszeichnung wurde nun auch dem Vollblut-Wittlicher Wilhelm Schrot zuteil. Im TV erzählt der 1915 Geborene seine ganz persönliche Weihnachtsgeschichte, die wir in Auszügen abdrucken.

 Wilhelm Schrot und einer der Töpfe, die zur Weihnachstzeit eine wichtige Rolle spielten. TV-Foto: Sonja Sünnen

Wilhelm Schrot und einer der Töpfe, die zur Weihnachstzeit eine wichtige Rolle spielten. TV-Foto: Sonja Sünnen

Wittlich. "Wenn Anfang Advent die Abende länger wurden und der Frost Eisblumen an die Stubenfenster zauberte, richtete sich die ganze Familie auf das nahende Weihnachtsfest ein. Die ersten Notjahre nach dem Weltkrieg 1914 bis 1918 mit der anschließenden Inflation waren überwunden, aber das Leben in dem ländlich geprägten Wittlich war besonders in der Vorweihnachtszeit vom Sparen für die nahenden Festtage geprägt. So wurde die Vollmilch verstärkt entrahmt, um davon Butter für die Weihnachtsplätzchen zu bekommen. Die verbleibende Magermilch wurde in blaugrau salzglasierten Niersbacher Tontöpfen (siehe Foto, Anm. d. Red.) am Herdrand aufgereiht und vor dem Verteilen mit Graupen angereichert als Suppe zum Abendessen gereicht. Dieses in Notjahren erprobte "Menü", im Volksmund verächtlich "Blauer Heinrich mit Kälberzähn" genannte Essen, störte jedoch nicht die Vorfreude auf das anschließende Backen der Weihnachtsplätzchen. Wir Jüngeren waren stolz, beim Ausstechen der Sterne und Märchenfiguren helfen zu dürfen. Auch beim Anfertigen der Strohsterne und Tannenzapfen als Christbaumschmuck durften wir mitwirken. Dabei war Singen und Lernen der Liedertexte angesagt. In vielen Familien gab es eine Gitarre - Radio und Fernsehen kamen erst viel später - und zusammen mit Mundharmonika, Mandoline und Geige war die "Familienband" komplett.Wir waren sieben Kinder - väär Fraleit und drei Pänz -, Mutter war früh gestorben, und so musste der Vater die Weihnachtsgeschenke besorgen. Bei seiner Überlastung machte er meistens ein Geschenk, von dem alle Kinder etwas hatten. So überraschte er uns an einem Heiligen Abend mit einem Grammophon. Mit der Hauskapelle hatte es dann bald ein Ende. Stattdessen kurbelten wir stundenlang am Grammophon, und Caruso schmetterte seine Lieder in Richtung Christbaum und Krippe. Während es am 6. Dezember vom Nikolaus meistens etwas zum Spielen gab, war das Hauptgeschenk an Weihnachten etwas zum "Anziehen". So wurden wir drei Brüder einmal im Advent zum Hausschneider geschickt. Er saß auf dem Schneidertisch und sagte: "Alle mal nebeneinander gerade hinstellen!" Ohne vom Tisch aufzustehen zog er die Brille auf die Nase runter, schaute uns abwägend an und sagte: "Es ist gut so. Ihr könnt wieder gehen." Damit war Maß genommen für drei neue Hosen, die groß genug waren "hineinzuwachsen". Bei diesem Weihnachtsgeschenk kam keine Freude auf! Der erste Weihnachtsfesttag wurde besinnlich mit dem Besuch der Frühmette mit anschließendem festlichem Frühstück begonnen. Nachmittags zogen wir Kinder zum Singen an der Krippe oder unter den Christbaum zu Paten und Verwandten. Tüten und Weihnachtsplätzchen waren der Lohn. Traditionsbewusst gab es dabei am ersten Feiertag im Gesellenhaus eine Theatervorstellung. Volles Haus war immer garantiert, da nur heimische "Künstler" mitwirkten. In den 20er Jahren lag am Heiligen Abend meistens Schnee. (...) Damit war am zweiten Weihnachtstag Rodeln angesagt: Für die Kleinen am Hang im heutigen Stadtpark und am Quetschenberg. Die Großen zogen den Afferberg hinauf bis zur Abzweigung Heilstätte. Oft wurden mehrere Schlitten zusammengebunden, vorne ein Lenker mit Schlittschuhen, hinten ein Bremser, dazwischen bis zu sechs Burschen und Mädchen. So ging es in flotter Fahrt Richtung Stadt. Bei guter Schneedecke - Autoverkehr gab es nicht - war der Wittlicher Marktplatz das Ziel, das aber trotz polierter Kufen nur von wenigen erreicht wurde. Dem frohen Treiben tat das aber keinen Abbruch. Hauptsache man war dabei und freute sich über das weihnachtliche Treiben auf dem spärlich beleuchteten Marktplatz, der auch heute noch am Heiligen Abend beliebter Treffpunkt der Wittlicher zum Konzert des Blasorchesters unterm Tannenbaum ist.

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