Das Kleid, das Wunder wirkt

WITTLICH. (ger) Vor vielen Jahren lebte im Dorf auf dem Pichterberg eine alte Frau, die war körperlich missgebildet und hatte in ihrem Leben allerhand Pech gehabt. Wenn sie durch das Dorf humpelte, war sie allerhand Neckereien ausgesetzt.

Die Frau hieß Susanne, aber die Leute nannten sie immer nur Sus'chen. Obwohl Sus'chen körperlich sehr gebrechlich war, konnte es viele Arbeiten im Haushalt flinker als manche andere verrichten. So wurde es gelegentlich mit Dingen wie Kartoffelschälen oder Erbsenpellen beauftragt. Sus'chen war aber auch leichtgläubig. Beim Kartoffelschälen im Haus eines reichen Bauern kam der junge Bauerssohn vom Feld zurück und sah das Sus'chen in der Küche. Da stach ihn der Hafer, wie es landläufig heißt. Mit ernster Miene erzählte er den Kartoffelschälerinnen, dass er das Pichtermännchen gesehen habe, obwohl es gar nicht stimmte. Und noch mehr - das Pichtermännchen habe ihn bei der Rückkehr aus Wittlich in der Nacht zuvor bei Vollmond um einen Schluck Milch gebeten, da es sonst verhungern müsse, weil es krank sei. Frische Milch fürs Pichtermännchen

"Aber ich habe ihm nichts gegeben, dem alten Wicht". Das Pichtermännchen habe daraufhin herzzerreißend geklagt. Die Bäuerin fuhr ihm über den Mund und meinte: "Rede nicht so einen Unsinn, Du lügst." Damit war die Geschichte erledigt. Aber nicht für Sus'chen. Die hatte in ihrem einfältigen Wesen die Geschichte geglaubt. Am nächsten Abend machte sie sich heimlich auf in den Pichterwald, in der Hand ein Gefäß mit frisch gemolkener Milch für das Pichtermännchen. Ehrfürchtig näherte es sich der Schlucht, in der das Pichtermännchen wohnen sollte. Sus´chen rief: "Pichtermännchen, Pichtermännchen, ich bringe dir gute Milch." Kaum hatte es gerufen, da stand das Pichtermännchen vor ihm. Es erkannte das gutgläubige Sus'chen und meinte liebevoll: "Ich bin nicht krank. Ich brauche deine Milch nicht. Aber weil Du es gut mit mir gemeint hast, will ich dir einen Wunsch erfüllen." Sus'chen wusste nicht so recht, was es sich wünschen solle. Da meinte das Pichtermännchen: "Ich schenke dir ein Kleid, das wirkt Wunder." In dem Moment war das Pichtermännchen verschwunden. Als Sus'chen aus dem Wald hinaustrat, hing an einem hohen Baum ein wunderschönes Kleid. Sus'chen zog das Kleid an - und fühlte sich plötzlich wie neugeboren. Fröhlich hüpfte es nach Hause und legte sich schlafen. Am anderen Morgen betrachtete es sich im Spiegel. Oh Wunder, das alte Sus'chen war über Nacht in einen Jungbrunnen gefallen, so schien es. Tags zuvor hatte es noch faltige und von den Sorgen des Lebens geprägte Haut gehabt. Des Morgens hüpfte es wie ein 17-jähriges Mädchen durch das Dorf und sah ebenso jung aus. Die Menschen wunderten sich. Und wollten von Sus'chen wissen, wie das geschehen sei. Aber Sus'chen sagte kein Wort. Sie freute sich an ihrer wieder gewonnenen Jugend. Nur dem alten Förster vertraute sie sich an und erzählte vom Pichtermännchen.

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