Der Bruder, das unbekannte Wesen

WITTLICH. Sekte oder Seelsorge? Über Bruder Nikolaj Bromberg gehen die Meinungen in Wittlich weit auseinander. Kaum jemand weiß genau, wer er ist, und wie seine Arbeit aussieht. Viele halten ihn für einen katholischen Kirchenmann – doch da wehren sich Bruder und Kirche gleichermaßen.

Wie ein Exot sieht Bruder Nikolaj Bromberg eigentlich nicht aus: schwarzer Anzug, weißes Hemd, Brille und Kurzhaarschnitt. Dass er nicht von hier ist, merkt man, sobald er spricht. Sein norddeutscher Dialekt regt die Fantasie an: Kapitän auf einem Nordseekutter oder Verkäufer auf dem Hamburger Fischmarkt - ja, das würde passen. Doch statt eines "Moin Moin" gibt es ein freundliches "Grüß Gott" zur Begrüßung. Nicht etwa aus Liebe zum Süden Deutschlands, sondern aus Berufung. Früher beriet er Urlauber, heute ist er Seelsorger

Er ist ein Mann Gottes, und doch ist er kein Pfarrer. Er nennt sich Bruder, sein Ordensname Nikolaj ist in seinem Personalausweis eingetragen. Vor langer Zeit war er Reiseverkehrskaufmann - ein Leben, das mittlerweile unendlich weit weg scheint. Von vielen in der Umgebung wird er kritisch beäugt. Weil er keiner von ihnen ist - eben doch ein Exot. Ein Nordlicht in Wittlich. Kein Katholik, sondern orthodoxer Christ, der über die koptische Kirche zu seinem Glauben fand (siehe Hintergrund). Flackerndes Kerzenlicht, leise, meditative Musik im Hintergrund: Besucher werden unweigerlich still in seinem Beratungsraum in Wittlich-Wengerohr, das viel Ruhe und noch mehr Besinnlichkeit ausstrahlt. Fast ein bisschen so, als sei man in einer anderen Welt. Bruder Nikolaj spricht mit ruhiger Stimme. Zumindest am Anfang. Ein Thema gibt es, das seine Stimme lauter werden lässt: die Arbeit anderer Kirchen und Gemeinschaften. Seinen Gemeinde-Seelsorgedienst sieht er zunächst diplomatisch als "Ergänzung zu den großen Kirchen". Und: "Wir wollen da sein für die, die auf der Strecke geblieben sind." Jene Menschen, denen ihr eigener Glaube nicht helfen konnte. Oder nicht wollte, wie Bruder Nikolaj vermutet. Ob Witwenkreis, Trauerbegleitung oder überkonfessionelle Beerdigungen: Er legt Wert darauf, dass seine Tür für alle Menschen offen steht. Drei Wochen im Jahr auch Kindern aus Weißrussland, die zur Erholung in die Region kommen. Nicht überall schlägt ihm für seine Arbeit Begeisterung entgegen. Dass sein Gemeinde-Seelsorgedienst von manchen in Wittlich auch schon als Sekte bezeichnet wurde, hat ihn getroffen. Dennoch ist er sich sicher: "Wir werden angenommen." Aber nicht von jedem. Bedenken gibt es vor allem wegen seines Auftretens als Bruder, als Kirchenmann, als Seelsorger. "Jeder darf sich Seelsorger nennen. Die Frage ist aber, ob jeder vermeintliche Seelsorger auch die entsprechende Ausbildung hat", sagt Rainer Scherchel vom Referat für Priester des Bistums Trier. Die Arbeit Bruder Nikolajs könne er zwar nicht beurteilen, "aber in meinen Augen ist das ein Missbrauch unseres üblichen Sprachgebrauchs". Weil Bruder nicht gleich Bruder ist. Laut Bruder Nikolaj wissen viele Menschen in Wittlich und Umgebung um seine Qualitäten als Seelsorger, die er sich nach eigener Aussage in einer psychologischen Ausbildung angeeignet hat. "Wir haben den Menschen gezeigt, was Gemeinschaft ist", ist er sich sicher, und kritisiert im gleichen Atemzug die Seelsorgearbeit anderer Kirchen. Die Leute kämen zu ihm, weil er Zeit habe. Weil er bei einem Beratungsgespräch nicht auf die Uhr schaue. Weil er für die Menschen da sei - auch über einen längeren Zeitraum hinweg. Für die großen Kirchen gelte das nicht unbedingt: "Von Nächstenliebe ist da nichts zu spüren." "Bei uns gibt es unendlich viel praktische Nächstenliebe", kontert Scherchel. "Natürlich gibt es auch Versagen und Enttäuschung innerhalb der Kirche. Hier arbeiten schließlich auch nur Menschen." Am Montag reist Bruder Nikolaj für einige Wochen nach Marokko, um ein Kinderheim in Taroudant zu unterstützen. Auch da wird er sein, was er hier ist: ein Exot. Mit dem Unterschied, dass es den Kindern dort egal ist.

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