Dicke Mauern und schwedische Gardinen

Durch den Freitod eines 37-jährigen Mannes ist die Justizvollzugsanstalt (JVA) Wittlich wieder ins Bewusstsein vieler Menschen in der Region gerückt. In einer Serie geht der TV der Frage nach, wie der Alltag hinter Gittern ist - auch abseits solch dramatischer Nachrichten.

Wittlich. Mit einem dumpfen Knall fällt das zweiflügelige, schwere Metalltor hinter mir ins Schloss. Ich stehe auf einem Hof. Vor mir erhebt sich ein 100 Jahre altes, turmhohes Sandsteingebäude: eine Kirche. Sie wird durch einen Gebäudeteil verlängert, der wie bei einem Kreuz in zwei weitere seitlich abgehende Schenkel mündet. Hinter diesen Mauern verbüßen Männer ihre Strafe, die in der Regel bis zu fünf Jahre abzusitzen haben.Ich nehme den gleichen Weg wie die Neuzugänge, die immer donnerstags ihre Haft antreten. Wie sie gehe ich über den Hof bis zu einer mit Metallgittern geschützten Tür unter der Kirche. Dahinter befindet sich die Kleiderkammer. Dort tauschen die Verurteilten ihre Kleidung gegen den blauen Baumwoll-Einheitslook. Sie geben alles ab, nur ihre Piercings und eine Uhr dürfen sie behalten. Ihre Privatsachen werden in einem der olivfarbenen Kleidersäcke an langen Stangen aufgehängt und verplombt. Es riecht muffig.Nebenan falten Gefangene Socken: "Jeden Dienstag 700 Stück", erklärt mir ein großer bärtiger Mann.Für die Sauberkeit der Zelle ist jeder selbst zuständig

Ich gehe weiter und komme geradewegs in den Zellentrakt. Auf vier Stockwerken reiht sich hier eine Zelle an die andere. In der Mitte der kreuzförmig aufeinander zulaufenden Gänge sind Beamte in einem Glaskasten postiert - das ist die Zentrale, von der aus die Uniformierten Einblick in alle Stockwerke und Gänge haben.Die Zellen gehen von langen Galerien ab, von oben fällt Licht herein. Zwischen den Etagen sind Netze gespannt, für den Fall, dass sich ein Häftling hinunterstürzt.Im geschlossenen Vollzug sitzen heute 372 Häftlinge hinter dunklen, alten Holztüren, die mit schwarzen Eisenriegeln und dicken Schlössern gesichert sind, ihre Strafen ab.Auf weißen Karteikarten sind die Namen der Bewohner an die Türen gesteckt. An manchen Türen baumeln Pappschilder, die auf "Ausspeiser" hinweisen. Diese Häftlinge helfen bei der Essen-Ausgabe. Auf anderen Schildern bitten Häftlinge um Putzwasser oder Toilettenpapier. Für die Sauberkeit der Zelle ist jeder selbst verantwortlich.Mit einem langen, antik aussehenden Schlüssel schließt Rainer Schuler, seit 1978 Personalleiter in der JVA, eine Zelle auf. Ich blicke in den 7,3 Quadratmeter großen Raum. Ein Spind steht rechts an der Wand, dahinter hängt ein kleines Holzregal über dem Bett. Auf der gegenüberliegenden Seite ist die Toilette, daneben ein Waschbecken mit Spiegel. Von einer Pinnwand mit persönlichen Bildern schaut der Papst in den Raum, daneben spreizt ein nacktes Pin-up-Girl vor einem Motorrad seine Beine. Auf dem Tisch erinnert das Kommunionsfoto seiner Tochter den Häftling an die Familie draußen. Über der Tür prangt der gemietete Fernseher. Wieder draußen gehe ich am Besuchsgebäude vorbei. Hinter diesen Wänden treffen die Männer ihre Angehörigen, durch brusthohe Plexiglaswände voneinander getrennt. Hier spielen sich leidenschaftliche Kuss-Szenen ab. Manche Ehefrau versucht sich dabei auch mal als Drogenkurier. "Wir sind keine Unmenschen. Aber wir müssen genau zuschauen", kommentiert Rainer Schuler das Interesse seiner Kollegen. Sicherheit steht an erster Stelle. An der Pforte nehme ich meinen Ausweis entgegen und kehre den Mauern den Rücken zu. Schwer fällt das Tor hinter mir ins Schloss. Nun fühle ich mich wieder leichter. EXTRA Die Justizvollzugsanstalt Wittlich: Errichtet ist der zum Teil denkmalgeschützte Gefängnisbau für 344 Personen. Ein Neubau für 670 Gefangene, dann mit Sicherungsverwahrung, soll ab Herbst 2009 Entspannung bringen. Vom geschlossenen Vollzug geht es durch einen Park zum offenen Vollzug, der weiteren Platz für 77 Verurteilte bietet. Dahinter befinden sich das Schulungsgebäude, die Jugendhaftanstalt, in der noch einmal 132 Bedienstete mit 175 Straffälligen arbeiten, und das Gefängnis-Krankenhaus mit 38 Betten. (sys)

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