Die Stadt mit der Überdosis Heroin

Die Nachfrage bedingt das Angebot: Darin sieht die Kriminalinspektion Wittlich (KI) eine Ursache dafür, dass Heroin in der Stadt eine relativ große Rolle spielt und verhältnismäßig viele Menschen in Wittlich an den Folgen ihrer Drogensucht sterben. Die Toten waren Langzeitkonsumenten. Für die Rauschgiftbeschaffung gilt die Nähe zu den Niederlanden als entscheidend.

 Drogen wie diese findet die Polizei vor allem häufig bei Kontrollen im Straßenverkehr. Foto: Kriminalpolizei

Drogen wie diese findet die Polizei vor allem häufig bei Kontrollen im Straßenverkehr. Foto: Kriminalpolizei

Wittlich. Vier junge Männer sind in diesem Jahr an einer Überdosis im Wittlicher Stadtgebiet gestorben, ein weiterer wurde in der Wittlicher Justizvollzugsanstalt (JVA) Opfer seiner Sucht. Außerdem gab es einen Herointoten in Zell (der TV berichtete). Die sechs Todesfälle in der Statistik der KI Wittlich, die ein Gebiet in der Größe des Saarlandes mit insgesamt 273 000 Menschen betreut, machen deutlich: Die Stadt mit fast 20 000 Einwohnern hat mit derzeit fünf Rauschgifttoten eine Sonderstellung, wenn man diese Zahlen ins Verhältnis setzt (ein Toter auf 4000 Einwohner).

57 Drogentote wurden 2008 in Rheinland-Pfalz (rund vier Millionen Einwohner) verzeichnet. Zahlen für 2009 gibt es noch nicht. 2008 ergäbe das gerundet landesweit einen Toten auf 70 000 Einwohner.

Auffällig ist der statistische Wert für die Stadt auch im Rückblick. Laut Kripostatistik gab es 2003 zwei Tote, davon einer in Wittlich, 2004 vier (zwei in Wittlich), 2005 fünf (drei in Wittlich), 2006 fünf (vier in Wittlich), 2007 zwei - beide in Bitburg-Prüm - und 2008 drei Tote, davon zwei in Wittlich.

"Das waren alles Langzeitkonsumenten. Es stirbt kaum jemand nach der ersten Spritze", erklärt Bernd Rehm, Kriminalhauptkommissar und Leiter des Rauschgiftkommissariats. Wie viele Abhängige es in der Stadt gibt, sei bekannt. "Wir kennen unsere Klientel."

Über die genaue Zahl kann Rehm ebenso wie über die personelle Größe seines Kommissariats aus Ermittlungsgründen keine Angaben machen. Er verweist darauf, dass die Abhängigen in allen Bevölkerungsschichten zu finden seien: in gut situierten Familien bis hin zu Hartz IV-Empfängern. Zu den in diesem Jahr insgesamt sechs Toten, davon fünf in Wittlich, sagt er: "Das ist bezogen auf Wittlichs Einwohnerzahl ein krasses Verhältnis. Das ist Fakt".

Über die Gründe könne man nur spekulieren, auch darüber, ob es eine Rolle spiele, dass in Wittlich die JVA und die Jugendstrafanstalt (JSA) stehen. Kommen Inhaftierte frei, kann ein Rückfall wegen Rauschgiftsucht tödlich enden, weil der entgiftete Körper die frühere Dosis nicht mehr verkraftet.

Hauptquelle für die Drogen seien die benachbarten Niederlande. Das habe auch der große Schlag gegen die Szene im Sommer 2008 deutlich gemacht. Gegen 18 selbst drogenabhängige Dealer wurden Haftbefehle erlassen, zwei davon außer Vollzug gesetzt, weil die Tatverdächtigten sich in Therapie begaben. 100 Strafverfahren wurden eingeleitet. Das Heroin, laut dem Kripo-Pressesprecher Winfried von Landenberg Mengen zwischen 100 und 1500 Gramm, wurde von den Niederlanden nach Wittlich geschmuggelt, verkauft oder selbst genommen.

Beim Einkauf koste das Gramm 15 bis 18 Euro, in der Stadt werde es zu 0,3 Gramm-Packs für 25 Euro verkauft. Ein Abhängiger benötige bis zu drei Gramm am Tag. Die Toten seien alle Langzeitkonsumenten gewesen.

Was die Gründe für die relativ hohe Abhängigenzahl seien, die zu dem ebenfalls relativ großen Heroinangebot führe, könne die Kripo nicht sagen. "Eine Erklärung kann ich nicht geben", sagt Rehm. Er weiß, dass auch nach erfolgreicher Therapie gilt: "Die Sucht bleibt ein Leben lang. Und Drogen sind überall verfügbar. Es gibt keine weißen Flecken."

Als größerer Ermittlungserfolge in diesem Jahr meldet die Kripo die Sicherstellung von 26 Gramm Heroin im April bei einer Übergabe. Extra Kriminalinspektion Wittlich: Zur betreuten Fläche gehören die Kreise Bernkastel-Wittlich (außer Morbach), Bitburg-Prüm, Vulkaneifel und der Altkreis Zell. Laut dem Rauschgiftkommissariat gibt es auch in Daun/Gerolstein, Bitburg und mittlerweile auch in Bernkastel-Kues Probleme im Bereich Heroin. Ermittlungserfolge ergeben sich selten aus Anzeigen, sondern aus Verkehrskontrollen, Vernehmungen, Durchsuchungen oder Telefonüberwachungen. (sos)

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