Die Suche nach dem nächsten Schuss

Wittlich/Bernkastel-Kues · Mit den Drogen kommt häufig der soziale Absturz. Für Junkies gibt es einen möglichen Ausweg - die Substitution, eine Behandlung mit Ersatzdrogen in einer Praxis. Im Kreis Bernkastel-Wittlich gibt es seit einem halben Jahr keinen behandelnden Arzt mehr. Der letzte Verbliebene hatte aufgehört, weil gegen ihn wegen eines möglichen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz ermittelt wurde. Wie es nun weitergeht ist unklar.

Heroin ist eine gefährliche Droge. Wer sich den Stoff in seine Venen spritzt, erlebt nach kurzer Zeit Glücksgefühle. Junkies fühlen sich leicht und unbesiegbar. Danach folgt der Absturz. Müdigkeit setzt die Konsumenten oft stundenlang außer Gefecht. Mit dem Einsetzen der Entzugserscheinungen beginnt der Teufelskreis - die Suche nach dem nächsten Schuss.

Eine Nachfrage in einschlägigen Internetforen ergibt, dass Konsumenten in der Region etwa 50 Euro für ein Gramm Heroin bezahlen. Davon brauchen sie zwischen ein und drei Gramm täglich. Das sei nicht gerade billig, der Stoff dafür aber auch gut. Gut heißt in diesem Fall rein.

In der Region bekomme man Heroin mit einem Reinheitsgrad zwischen 20 und 30 Prozent. In der Pfalz habe man zum Teil nur fünf Prozent, heißt es im Internet weiter. Doch egal welcher Reinheitsgrad - wer regelmäßig Heroin konsumiert sei kaum in der Lage einer regelmäßigen Arbeit nachzugehen, sagt Helga Thiel, Leiterin der Suchtberatung beim Caritasverband Mosel-Eifel-Hunsrück. Junkies würden dann klauen, um an den nächsten Schuss zu gelangen. Gelingt ihnen das, leben sie ständig mit der Gefahr einer Überdosis. Eine solche hatte sich zuletzt ein Mann in einem Nebenraum eines Bernkasteler Supermarktes gesetzt. Die Polizei fand noch die Spritze neben dem toten Körper (der TV berichtete).

Ein möglicher Ausweg: Eine Alternative für Drogensüchtige stellt die sogenannte Substitution dar. Dabei verabreicht ein Arzt täglich einen Ersatzstoff, der das Spritzen von echtem Heroin überflüssig macht. In Großstädten und Ballungszentren gibt es Substitutionskliniken - Arztpraxen, die ausschließlich substituieren. "Das ist auf dem Land nicht möglich", sagt Thiel. Dafür gebe es mit etwa 60 Substituierten zu wenig Klientel im Kreis Bernkastel-Wittlich. Deshalb müssten hier Drogenabhängige in gewöhnliche Hausarztpraxen ausweichen.

Das Problem: Substitution ist sehr zeitaufwendig. "Ärzte müssen viel dokumentieren und die Drogenabhängigen müssen regelmäßig Urinproben abgeben", sagt Thiel. Durch die Proben werde sichergestellt, dass die Teilnehmer neben dem Ersatzstoff keine weiteren Drogen zu sich nehmen. "Passiert das ein- oder zweimal sieht man das als Ausrutscher an." Konsumieren die Teilnehmer häufiger nebenher, stehe das dem Sinn der Substitution entgegen. Die Folge: "Ein Ausschluss aus dem Programm." Wie penibel die Dokumentation zu erfolgen hat, musste der Bernkasteler Arzt Georg von Kölln Ende 2014 erfahren. Die Staatsanwaltschaft ermittelte gegen den Mediziner wegen eines möglichen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz. Allerdings zu unrecht, wie von Kölln sagt. Am 15. Juli 2015 wurden schließlich auch die Ermittlungen gegen ihn eingestellt. Vom Tisch ist das Problem damit allerdings nicht. Die Ermittlungen haben beim Arzt Spuren hinterlassen.

So lief es bisher: Lange Zeit war Georg von Kölln der einzige Arzt im Kreis, der Patienten substituiert hat. Seit ein paar Monaten hat auch er damit aufgehört. Als Hauptgrund gibt von Kölln die Ermittlungen gegen ihn an. Ärzte liefen einfach Gefahr, durch fehlende Tests oder falsche Dokumentation eine Straftat zu begehen. "Und passiert dann wirklich etwas stehe ich alleine da." Die Folgen könnten sein, dass ein Arzt die Approbation verliert oder sogar ins Gefängnis muss. Da müsse man schon einmal fragen, ob man die Arbeit mit Ersatzdrogen nicht etwas entkriminalisiert, sagt von Kölln. "Wir Ärzte wollen doch schließlich nur helfen." Die Behandlung in einer normalen Praxis sieht auch Helga Thiel als problematisch an: "Drogenabhängige sind nicht immer unbedingt wartezimmerkompatibel", sagt sie. Suchtkranke könnten auf andere Patienten durchaus auch einen verschreckenden Eindruck machen. Das bestätigt auch von Kölln. "Ein Patient mit Schnupfen neben einem Metadon-Patienten? Das passt nicht!"

So funktioniert es aktuell: Substituierte aus dem Kreis müssen nun auf Praxen in Trier oder Kastellaun (Rhein-Hunsrück-Kreis) ausweichen und damit lange Wege in Kauf nehmen. "Das ist alles andere als einfach", sagt Thiel. Die meisten Drogenabhängigen haben kein Auto oder ihren Führerschein schon lange verloren. Im Kreis Bernkastel-Wittlich gibt es aktuell keinen Arzt, der substituiert.

Das muss sich in Zukunft ändern: Die Behandlung in der eigenen Praxis ist für den Mediziner von Kölln für alle Zeit vom Tisch. "Ich bin nicht mehr bereit, alleine die Verantwortung zu übernehmen", sagt er. Vorstellen könne er sich eine Behandlung in einer externen Praxis, gemeinsam mit anderen Ärzten und geschultem Personal. Eine solche Lösung schwebt auch Helga Thiel vor. Das Problem beginnt aber schon bei der Suche nach einem geeigneten Ort. In den Räumen der Suchtberatung sei schlicht kein Platz.

Noch schwieriger sei es Ärzte zu finden, die sich dazu bereiterklären. Um dem Problem entgegenzuwirken, hatten die Krankenkassen bereits in diesem Jahr Hausärzte zu einer Informationsveranstaltung zum Thema Substitution eingeladen. Überhaupt gekommen sind nur wenige, geblieben ist niemand. "Schon alleine, weil es für Hausärzte auf dem Land keine Notwendigkeit dazu gibt", sagt Helga Thiel. Zwar könnten Ärzte mit der Substitution auch Gewinne erzielen, da die Arbeit normal über die Krankenkassen abgerechnet werde. "Die Praxen sind aber auch so schon maßlos überfüllt."

Möglicherweise müsste also ein weiterer finanzieller Anreiz geschaffen werden, denkt von Kölln. Passiert das nicht, denkt er nicht, dass sich an der aktuellen Situation etwas ändern wird. "Ich halte das sogar für ausgeschlossen."

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