Ein Gebirge als Flüchtlingslager

Wittlich · Die Wittlicher Katrin Bornmüller von der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte ist gerade aus dem Irak zurückgekehrt. Sie hat dort einen Transport mit Hilfsgütern an die syrische Grenze begleitet. Besonders die jesidische Minderheit dort erleide hohe Repressalien.

 Fast 400 Säcke mit jeweils 40 Kilogramm Lebensmitteln und Hygieneartikeln verteilen die Helfer vor Ort. Foto: Privat

Fast 400 Säcke mit jeweils 40 Kilogramm Lebensmitteln und Hygieneartikeln verteilen die Helfer vor Ort. Foto: Privat

Foto: (m_wil )

Wittlich. "Da liegt kein Stein mehr auf dem anderen!" Katrin Bornmüller ist erschüttert. Sie habe bei Hilfstransporten in den Nahen Osten schon viel gesehen. Aber bei ihrem jüngsten Besuch im Shingal-Gebirge habe sich ihr ein Bild der Zerstörung geboten, wie sie es noch nie vorher erlebt habe. Seit Jahren ist die Wittlicherin für die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) aktiv.
Immer wieder begleitet sie Hilfsgütertransporte in das Grenzgebiet zwischen Syrien und dem Irak, wo viele Bürgerkriegsflüchtlinge derzeit ausharren und auf ein Ende der Kampfhandlungen hoffen. "Das ganze Shingal-Gebirge ist ein Flüchtlingslager. Dort leben viele Jesiden in Zelten und in Viehställen. Vieles ist zerstört", erzählt Bornmüller. Erst kürzlich war sie mit einem Hilfstransport dort. In dem Gebirge leben viele Jesiden, eine religiöse Gruppe, die von den radikalen Islamisten des IS besonders verfolgt wird. "Junge Jesidinnen werden von IS-Terroristen als Sex-Sklavinnen gehalten und verkauft. Jesidische Männer werden oftmals ermordet." Das kann Muhiddin Boga bestätigen.
Der LKW-Fahrer arbeitet ehrenamtlich für die IGFM und war mit Bornmüller im Irak. Boga stammt aus einem kurdischen Dorf in der Türkei. Dort wurde er als Jeside verfolgt. "Die haben dich schräg angeschaut, wenn du am Freitag nicht in die Moschee gegangen bist", erzählt er. Er floh schon 1987 nach Deutschland und lebt seit 1994 in Wittlich, wo er als Berufskraftfahrer arbeitet. Neben seiner Arbeit für die IGFM ist er auch Vorsitzender der jesidischen Gemeinde in Rheinland-Pfalz. In diesem Jahr war er bereits zum dritten Mal im Irak. "Wir hatten Kleidung, medizinische Hilfsmittel, Betten und Rollstühle dabei. Aber es würde immer schwieriger durchzukommen." "Seit Erdogans Säuberungsaktionen in der Verwaltung wird es immer schlimmer. Die Hürden für Hilfstransporte werden erhöht. Man braucht immer mehr Papiere", sagt Bornmüller. Boga berichtet: "Im Sommer haben wir bei 50 Grad Celsius zehn Tage an der türkisch-irakischen Grenze festgesessen." Dabei haben sie auch die Flüchtlingslager gesehen. "Die Menschen leben dort in eingezäunten Lagern und werden vom Militär bewacht", sagt Bornmüller. Immerhin würden Jesiden und Muslime getrennt untergebracht. Das entschärfe die Situation. Aber die Angst sei spürbar. Auf ihrer Reise im Oktober verteilte die Gruppe fast 400 Säcke mit jeweils 40 Kilogramm Hilfsmitteln. Dazu zählten auch Lebensmittel, Hygieneartikel und Waschpulver. Hinzu kamen Medikamente für einen jesidischen Arzt, selbst Flüchtling, der dort eine provisorische Praxis eröffnet hat. Flüchtlingen mit Rezepten, aber ohne Geld behandele er kostenlos, erläutert Bornmüller.
Die Stadt Shingal wurde am 3. August 2014 vom IS überrannt. 400 000 Menschen flohen in das nahe Shingal-Gebirge. Bornmüller: "Viele verdursteten auf der Flucht, Tausende wurden brutal ermordet, 550 Männer nach Augenzeugenberichten lebendig begraben, junge Frauen und Mädchen entführt, ältere Frauen wurden erschossen.
Die jungen Frauen wurden auf Sklavenmärkten verkauft oder als Sexgespielinnen unter den Terroristen verlost." 3500 Frauen seien immer noch in der Gewalt des IS, ihr Schicksal ist ungewiss. "Wir haben mit einigen freigekauften Frauen gesprochen. Sie brauchen dringend Hilfe," sagt Bornmüller. hpl

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