Ein Richterspruch, der wachrütteln soll

Wittlich · Er attackierte sein Opfer mit der Faust, begoss den am Boden liegenden Mann mit Bier. Seine Aggressionen richteten sich nicht zum ersten Mal gegen einen Unbekannten. Das Amtsgericht Wittlich hat einen 21-Jährigen unter Einbeziehung zweier früherer Urteile zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt.

Wittlich. Warum versetzt jemand einem ihm Fremden einen Faustschlag? In der Logik eines Serienstraftäters klingt die Antwort so: "Ich habe mich über den Typen geärgert und mir gesagt: Wenn ich den noch mal sehe, schlage ich den kaputt", gibt der mehrfach vorbestrafte junge Mann am Dienstag in der Verhandlung des Wittlicher Jugendschöffengerichts zu Protokoll, "und als ich den wiedergesehen habe, wollte ich halt mein Wort halten."
Kein Ausdruck des Bedauerns, der späten Reue kommt ihm über die Lippen. Es tut dem 21-Jährigen offenkundig nicht leid, dass er im März einen 36-Jährigen in Bad Kreuznach mit einem einzigen Faustschlag auf den Hinterkopf krankenhausreif schlug, dem Mann anschließend noch Bier über den Kopf schüttete. Einen Mann, den der Angeklagte im Grunde genommen nicht kannte. Er war ihm nur einmal begegnet - im Bus. Was sich bei dem mehrere Monate zuvor stattgefundenen Treffen abgespielt hat, darüber hört das Gericht unterschiedliche Versionen.
Sein Gegenüber habe ihn ohne Anlass mit einer abgebrochenen Bierflasche bedroht, berichtet der 21-Jährige: "Ich bin abgehauen, weil das Kind meiner Freundin dabei war und ich daher keinen Ärger wollte." Das Opfer dagegen schildert, wie er im Bus gesehen habe, wie der Angeklagte das Kind angestarrt und dabei erschreckt habe. "Daraufhin habe ich ihn angesprochen", sagt der 36-Jährige, "ich wollte nur helfen." Fest steht, dass ihm die zweite Zufallsbegegnung mit dem Angeklagten ein Schädelhirn-Trauma, Gesichtsprellungen, Hämatome sowie einen viertägigen Klinikaufenthalt bescherte. Und fest steht, dass der 21-Jährige nicht zum ersten Mal einen ihm Unbekannten attackiert und verletzt hat. Deswegen hält das Gericht die Version des Opfers auch für glaubwürdiger.
Zwölf Jahre lang im Kinderheim


"Er hat schon immer Probleme gehabt, Konflikte zu lösen", sagt Doris Peters von der Jugendgerichtshilfe über den Angeklagten und berichtet von den besonderen Umständen, unter denen der 21-Jährige aufwuchs: der Vater wegen schweren sexuellen Missbrauchs zweier Töchter zu neun Jahren Gefängnis verurteilt, als der Angeklagte erst zwei Jahre alt war; die Mutter überfordert mit der Erziehung der sieben Kinder, die daraufhin in einem Heim in der Eifel untergebracht wurden. "Der Angeklagte war dort zwölf Jahre - eine unvorstellbar lange Zeit für ein Kind", sagt Peters. Der 21-Jährige spreche immer wieder davon, dass er überfordert sei. Die Jugendgerichtshelferin empfiehlt daher eine Verurteilung nach dem Jugendstrafrecht.
"Alkohol und Drogen sind in den letzten Jahren Bestandteil meines Lebens gewesen", sagt der arbeitslose Angeklagte. Ebenso gehörten zahlreiche Straftaten zu seinem bisherigen Leben: sexuelle Nötigung etwa, Raub, Körperverletzung, Sachbeschädigung, Handel mit Betäubungsmitteln, Diebstahl.
Der Angriff in Bad Kreuznach erfolgte, während sogar zwei Freiheitsstrafen auf Bewährung - zu zwei Jahren und zu 16 Monaten - liefen. Eine dritte Freiheitsstrafe auf Bewährung kann es nach dem Vorfall im März nicht geben: Das Jugendschöffengericht verurteilt den 21-Jährigen unter Einbeziehung der vorangegangenen Urteile zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren. Der Angeklagte habe etliche Hilfestellungen nicht wahrgenommen, kritisiert Richter Josef Thul und fragt: "Wann wollen Sie denn endlich wachwerden?" neb

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