Ein brasilianisches Majusebetter

Binsfeld · Glaci Vallerius Vorfahren sind 1846 von Binsfeld nach Brasilien ausgewandert. Bei einem Treffen mit ihrem Cousin Walter in Binsfeld haben sich die Familienmitglieder, ein Freund und der Postbote vieles zu erzählen.

 Erinnerung an alte Zeiten: Ein Foto aus dem Jahr 1893 zeigt die brasilianischen Eifel-Auswanderer. Foto: privat

Erinnerung an alte Zeiten: Ein Foto aus dem Jahr 1893 zeigt die brasilianischen Eifel-Auswanderer. Foto: privat

Binsfeld. Im Garten von Walter Valerius hängt eine brasilianische Flagge. Mit dem südamerikanischen Land, in dem die deutsche Fußball-Nationalmannschaft im vergangenen Jahr den WM-Titel feierte, verbindet den Binsfelder aber nicht nur Fußball, Samba und der Zuckerhut. Denn Mitte des 19. Jahrhunderts ist ein Teil von Walter Valerius Vorfahren wie viele Eifeler und Hunsrücker (siehe Extra) in das ferne Land ausgewandert, weil zu Hause große Armut herrschte.Heimat- geschichte(n)


Nach einigen Forschungen über seine Vorfahren und die Geschichte der Brasilien-Auswanderer hat Valerius einige Familienmitglieder in Brasilien ausfindig gemacht.
Seine Cousine Glaci besuchte Walter Valerius jetzt in der Heimat ihrer Vorfahren. In fast perfektem Deutsch kann sich die 61-Jährige mit ihren deutschen Verwandten unterhalten. "Als uns Glaci vor 17 Jahren mit ihrer Schwester Teresa zum ersten Mal besucht hat, haben wir sie gefragt, ob sie sich noch an den Binsfelder Dialekt erinnern können", erzählt Walter Valerius von dem ersten Treffen. "Und beide sagten direkt, sie könnten sich genau an ,Oh Majusebetter' erinnern", sagt Valerius weiter, während seine Cousine lachend nickt.
Die deutsche Sprache sei unter den Deutsch-Brasilianern immer noch sehr verbreitet, sagt Glaci Vallerius - das zweite l in ihrem Nachnamen kam im Laufe der Jahre in Brasilien dazu; es gebe viele Dörfer im Landesinneren, in denen die Menschen miteinander ausschließlich Deutsch sprechen würden. "Dort lebt auch eine 86-jährige Frau, die bis heute kein Portugiesisch spricht, nur Deutsch", erzählt Vallerius.
Glaci Vallerius selbst lebt mittlerweile in Porto Allegre. Aus diesem Ort stammt auch Enio Fuchs, der seit Ende der 1980er in Deutschland lebt und derzeit in Binsfeld die Post austrägt. Bei einem Treffen im Hause der Familie Valerius hätten sich die beiden nett über ihre Heimat ausgetauscht — "auf Portugiesisch", wie Glaci Vallerius erzählt.
Zu erzählen hatten sich auch Walter Valerius, seine Frau Marlies, Glaci Vallerius und Pater Bernhard Lauer viel. Pater Bernhard gehört wie Glaci Vallerius dem Orden Oblaten des heiligen Franz von Sales an. Der Pater lebt im bayerischen Eichstätt, während Glaci Vallerius für den Orden in Brasilien arbeitet.
Bei dem Besuch der beiden in Deutschland hatten sich die Vier aber nicht nur viel zu erzählen, es wurde auch viel gelacht. Vor allem, als sie sich alte Bilder angeschaut haben, die zum Teil noch aus dem Jahr 1893 stammen, und sich Geschichten erzählt haben.
Ob und wann Glaci Vallerius ihre Verwandten in der Eifel wieder besuchen wird, steht noch nicht fest. Aber auch dann werden sich die Familienmitglieder wieder viel zu erzählen haben.Extra

Ein brasilianisches Majusebetter
Foto: klaus kimmling (m_wil )

Brasilien war für Tausende Menschen im 19. Jahrhundert ein Zauberwort. Das fast 120 000 Kilometer von Deutschland entfernte Land sollte eine Chance auf Glück sein, während Kriege, Armut, Missernten und Hungersnöte den Alltag im Hunsrück und in der Eifel bestimmten. Die meisten Auswanderer aus der Region fanden im Süden Brasiliens, im heutigen Bundesstaat Rio Grande do Sul, eine neue Heimat. Agenturen, die speziell zur Anlockung von Ausreisewilligen engagiert wurden, machten den Deutschen damals Hoffnung: Die Auswanderer erhielten in Brasilien Land, Vieh, Saatgut und Arbeitsgeräte, und sie wurden für zehn Jahre von Steuerzahlungen befreit. So gab es in den Jahren 1824, 1846 und 1860 regelrechte Auswanderungswellen. 1846 wanderte auch Walter Valerius Vorfahre ServatiusValerius von Binsfeld nach Brasilien aus. Gemeinsam mit seiner Frau Helena, geborene Pfeiffer, den Kindern Angela, Elisabeth und Jakob, dem Onkel Johannes Heinz, der Witwe Schröder mit ihren fünf Kindern, dem Paar Servatius und Barbara Steffen sowie Barbaras Schwester Helena und deren sechs Kindern ging es auf die dreimonatige Reise über den Atlantik. Heute gibt es etwa vier Millionen Brasilianer mit deutschen Wurzeln - laut dem Martius-Staden-Institut in São Paulo sollen es sogar 18 Millionen sein. Im Staat Rio Grande do Sul, der etwa 28-mal so groß ist wie Rheinland-Pfalz, sprechen 350 000 Menschen Deutsch - einen Dialekt, den sie selbst "Hunsrickisch" nennen. cofi/will

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