Erst Ausschuss, dann Stadtrat

Es ist eine in Rheinland-Pfalz wahrscheinlich einzigartige Geschäftsordnung, die sich der Wittlicher Stadtrat gegeben hat. Denn Anträge der Fraktionen werden im Stadtrat nur vorgelesen und dann ohne Aussprache in die Ausschüsse verwiesen. Das wollen SPD und Grüne ändern.

Wittlich. Es war eine konsequente Entscheidung, die der Stadtrat Wittlich in seiner jüngsten Sitzung in Sachen Geschäftsordnung gefällt hat: Der Antrag von SPD und Bündnis90/Die Grünen zur Änderung der Geschäftsordnung wurde nach Verlesung und Begründung in den zuständigen Zentral-Ausschuss verwiesen. Dabei geht es in dem Antrag darum, dass zukünftig eben nicht mehr alle Anträge nach Verlesung des Antragstexts in die entsprechenden Ausschüsse verwiesen werden.
Die derzeitige Geschäftsordnung sei besonders für interessierte Bürger frustrierend. Die kämen zu den Sitzungen, um sich bei wichtigen Themen ein Bild davon zu machen, was die Fraktionen zu sagen haben. Dies sei jedoch nicht möglich, da die Themen gar nicht im Rat besprochen werden dürften. Als Beispiele für solche Themen sind in der Begründung des Antrags die Großsport- oder Mehrzweckhalle, die Stadtentwicklung und die Verkehrspolitik genannt.

Im eigentlich entscheidenden Gremium der Stadt würden oft nur Schaufenster-Reden über die Ergebnisse aus den zumeist nichtöffentlichen Ausschuss-Sitzungen gehalten, sagte SPD-Fraktionschef Joachim Gerke. Mit einer transparenten Diskussion habe das nichts zu tun. Für die beiden Fraktionen kommen Joachim Gerke und Grünen-Fraktionschef Michael Wagner zum Schluss, dass „Bürger der Stadt ein Recht darauf haben, über aktuelle Entwicklungen und Meinungen im Stadtrat frühzeitig informiert zu werden.“
Die Möglichkeit des Verweisens von Themen in die Ausschüsse wollten die beiden Fraktionen weiter offen lassen. „Ob eine fachliche Debatte in einen Antrag mündet, oder ob eine weitere Beratung in einem Fachausschuss erforderlich ist, bleibt dem Gremium Stadtrat unbenommen“, heißt es in der Begründung des Antrags.
Nicht über den Antrag gesprochen hatte der Stadtrat, obwohl SPD und Bündnis90/Die Grünen zu Beginn der Sitzung den Versuch gestartet hatten, dies doch noch in der Sitzung in der ehemaligen Synagoge zu tun. Schließlich hat laut Geschäftsordnung der Stadtrat die Möglichkeit, über Anträge zu sprechen, falls dies gewünscht ist. Eine entsprechende Mehrheit kam jedoch nicht zustande.


Sehr breit war hingegen die Zustimmung des Rats für einen Antrag von Bündnis90/Die Grünen zu Informationen der Fraktionen im Mitteilungsblatt der Stadt. Mit Hinweis auf mögliche Probleme hatte die Verwaltung einen ablehnenden Beschlussvorschlag formuliert, wonach den Ratsfraktionen kein Raum zur Selbstdarstellung zur Verfügung gestellt werden soll. Dieser Empfehlung war der Zentral-Ausschuss jedoch nicht gefolgt. Der Raum für die Fraktionen sei nach Worten von Grünen-Stadtrat Hans-Jörg Krames nötig, um die Positionen der Fraktionen ungefiltert darstellen zu können.
Nach Auskunft von Stadt-Pressesprecher Ulrich Jacoby sollen ab dem 1. Januar 2008 die Fraktionen ihren Raum im Mitteilungsblatt erhalten. Für diese Veröffentlichungen sollen dann die Richtlinien des Verlags gelten. Sie besagen, dass Angriffe auf politische Gegner oder Mandatsträger ausgeschlossen sein sollen.

Meinung

Groteske Situation

Der Wittlicher Stadtrat ist offensichtlich nicht in der Lage, über seine eigenen Rechte zu diskutieren und zu bestimmen. Ansonsten wäre es wohl nicht zu der grotesken Situation gekommen, dass die Mehrheit des Stadtrats dafür ist, dass ein Ausschuss darüber beraten soll, ob der Stadtrat über Anträge direkt sprechen darf.

Warum haben sich die Räte diesen Maulkorb selbst verordnet, dass das entscheidende Gremium noch nicht einmal direkt über Anträge sprechen darf? Warum werden die Sachthemen oft hinter verschlossenen Türen in Ausschüssen vorbesprochen, sodass für die Ratssitzungen nicht mehr als Schaufenster-Reden übrig bleiben? Warum lassen sich die Stadträte entmündigen und von den Ausschüssen die Butter vom Brot nehmen, obwohl die Hilfsgremien nur teilweise mit vom Volk gewählten Vertretern bestückt sind?

All diese Fragen werden sicher nicht dadurch beantwortet, dass die Fraktionen im Rat ihre Spielwiese im Amtsblättchen bekommen. Das ist wohl eher der Versuch, die aufgegeben Kompetenz durch kostenlosen Selbstdarstellungsraum zu kompensieren und die eigene Sprachlosigkeit zu übertünchen. Die Kritik der Wittlicher an ihren Stadträten wird das sicher nicht zum Verstummen bringen. h.jansen@volksfreund.de

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