Ganz viele Körnchen Heimat

Bengel · Saatgut gibt es in Baumärkten, Gärtnereien und im Versandhandel zu kaufen. Oder es wird im eigenen Garten gewonnen und bei Tauschbörsen und bei der Saatgut-Bibliothek weitergegeben und verkauft. Wie das funktioniert und welche Vorteile es bringt, darüber haben sich mehrere 100 Hobbygärtner bei der Saatgut-Börse in Bengel informiert.

 Viel zu tun hat Friedmunt Sonnemann bei der Saatgutbörse in Bengel. Das Interesse an seinen Produkten ist groß. TV-Foto: Nora John

Viel zu tun hat Friedmunt Sonnemann bei der Saatgutbörse in Bengel. Das Interesse an seinen Produkten ist groß. TV-Foto: Nora John

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Bengel. Eine Unterhaltung mit Annette Fehrholz vom Obst- und Gartenbauverein Bengel erfordert Geduld. Denn die Vorsitzende des Obst- und Gartenbauvereins Bengel und Initiatorin der Saatgut-Bibliothek ist eine sehr gefragte Gesprächspartnerin bei der Saatgutbörse in Bengel. An dem Tisch, an dem Samen für Blumen, Gemüse und Kräuter getauscht werden können, herrscht schon kurz nach Eröffnung um 11 Uhr reger Betrieb.
Eine Dame aus Kordel, die ihren Namen nicht nennen möchte, ist mit viel Material gekommen. Nach und nach füllt sie das mitgebrachte Saatgut aus dem eigenen Anbau in die bereitgelegten Tütchen ab und beschriftet sie. "Ich habe keinen ordentlichen Garten", erzählt sie schmunzelnd. Im Herbst lasse sie die Pflanzen stehen, damit die Tiere etwas davon haben.
Eine Richtung, die auch Annette Fehrholz vertritt. "Wir unterbrechen den Kreislauf, wenn wir alles direkt entfernen", sagt sie. Das, was im Herbst stehen bleibt, auch wenn es für den Laien vielleicht ungepflegt aussieht, hat durchaus seinen Sinn. "Es ist eine Futterquelle für die Vögel", sagt Fehrholz. Und auch die Wildbienen profitieren von Gestrüpp.
Außerdem gibt es Pflanzensorten, die erst nach zwei Jahren Samen abwerfen. Zum Beispiel die Petersilie. "Im ersten Jahr bilden sich die Blätter aus, im zweiten Jahr wachsen die Blüten", weiß Fehrholz. Wenn diese trocknen, lassen sich auch von Gartenneulingen einfach Samen gewinnen.
Auch sie selbst hat sich das Wissen rund um die Pflanzen erst aneignen müssen. Heute ist sie aber konsequenter Vertreter des nachhaltigen Gärtnerns und der eigenen Samengewinnung. Das habe sich über Jahrhunderte hinweg entwickelt, denn früher gab es anders als heute keine Möglichkeiten, die Samen industriell verpackt zu kaufen. Heute seien die im Handel erhältlichen Samen sogenannte Hybride, die meist nur einjährig gute Erträge bringen, und deren Samen im Folgejahr keine gute Ernte versprechen. Zudem liege das Patent für die Sorten bei den Firmen, sodass es bei der Vermehrung des Saatguts sogar rechtliche Probleme geben könne.
Mit der Saatgut-Bibliothek, die es seit 2014 gibt, möchte sie andere Wege gehen. Bisher gibt es 20 Mitglieder, rund 300 Sorten umfasst die Bibliothek. Jeder kann sich Samen mitnehmen und nach erfolgreicher Ernte die neuen Samen der Pflanzen wieder zurückgeben. Und es gibt viele Interessenten. Während der Veranstaltung in Bengel füllt sich der Tisch mit Saatgut-Tütchen der Besucher. Im Gegenzug nehmen sie ein paar Zuckererbsen, Bohnen- oder Petersiliensamen mit. Auch in der bereitliegenden Liste sind schon nach einer Stunde ein paar Namen und Adressen dazugekommen. Doch was macht der unerfahrene Gärtner, der erste Gehversuche startet? "Bohnen wachsen überall und bei jedem", sagt die Dame aus Kordel. Und auch Fehrholz bestätigt, dass es keiner großen Vorkenntnisse bedarf.
Auch, wenn der Sinn der Saatgut-Bibliothek das Ausleihen und Zurückbringen des gewonnenen Saatguts ist, gibt es anders als in einer Bibliothek für Bücher keine Strafen, wenn der Erfolg ausgeblieben ist. "Wir wollen niedrigschwellig arbeiten", sagt Fehrholz. Und überhaupt, jeder mache Fehler. Um trotzdem immer besser zu werden, gibt es immer wieder Infoveranstaltungen.
Die gibt es auch in Bengel. Und dann lässt der Andrang auch an den Ständen der Königsfarm und der Regenbogenschmiede aus dem Hunsrück nach. Auch wenn es nach wie vor Kunden gibt, die sich durch das riesige Angebot der verschiedenen Samen arbeiten und viele Fragen haben. Da wird schon mal das Mittagessen kalt, denn Friedmunt Sonnemann und seine Kollegen Sabine Lütt und Matthias Lilienmond beantworten Fragen nach nach den richtigen Böden und dem Zeitpunkt der Aussaat.
Eine Unmenge von verschiedenen Tomatensorten gibt es bei Melanie Grabner. Auch sie ist ein Verfechter der eigenen Saatgutgewinnung. Nur das, was in der Region gewachsen sei und gepflegt werde, sei auch an das jeweilige Klima und die Böden optimal angepasst. Außerdem fürchtet sie ebenso wie Annette Fehrholz, dass die Artenvielfalt ansonsten gefährdet ist.Extra

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Foto: (m_kreis )
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Bei der Saatgutbörse in Bengel gibt es ganz viele verschiedene Samen, mit denen man Pflanzen ziehen kann. Manche haben auch komische Namen. Zum Beispiel die Monstranzbohne. Die ist ganz hell und hat eine dunkle Zeichnung, die so etwa aussieht wie eine Monstranz in der Kirche. Um den Namen für diese Bohne rankt sich auch eine Sage. So seien vor vielen Hundert Jahren im Krieg die Kirchenschätze vergraben worden, um sie vor Plünderung zu schützen. Und damit man sie wiederfindet, soll ein Mönch an dieser Stelle eine solche Monstranzbohne gepflanzt haben. noj

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