Großmutters Alabaster-Schale und das weiße Gold

Im ältesten inhabergeführten Fachgeschäft am Marktplatz, wenn nicht der ganzen Stadt, hielt vor 100 Jahren das "weiße Gold" Einzug. Sein Weg war weit: Er startete von der ersten eruropäischen Porzellan-Manufaktur im sächsischen Meißen und führte mit der Bahn nach Wittlich.

 TV-Foto: Sonja Sünnen

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Wittlich. (sos) In den heutigen Zeiten mit Internethandel und Express-Versand kann man sich kaum vorstellen, wie aufwendig es war, ein Qualitätsprodukt "aufs Land" zu bekommen. So galt es wohl als kleine Sensation, dass man in Wittlich vor 100 Jahre als Kunde erstmals feinstes Porzellan aus Meißen bewundern konnte. Dicht an dicht zeigten sich Geschirrteile vom Zuckerdöschen bis zur stolzen Kaffekanne in den raumhohen Regalen des Geschäfts, das als "Lütticken am Markt" bekannt ist. Den Familienbetrieb leiten heute Ursula und Franzkarl Lütticken.

Ihre Großmutter Martha hatte die Spitzenfabrikate aus Meißner Porzellan damals nach Wittlich gebracht. Ein Foto aus jener Zeit zeigt die Prachtstücke zu hunderten, die den "geehrten Abnehmern zur geneigten Beachtung" - und zum Kauf naturgemäß - präsentiert wurden. In der Vitrine glänzten die teuersten Stücke, etwa eine Deckelvase in Amphorenform. Davor thronte Anno dazumal ein besonderes Stück auf einem weiß gedecktem Tischchen: eine geschwungene Schale aus Alabaster, auf deren Rand drei Täubchen balancieren. Sie ist ein "Ladenhüter" im besten Sinne geworden: Die Schale ist das einzige Stück, das aus Großmutters Zeiten bis in die Gegenwart geblieben ist, allerdings ist sie im Laufe der Jahrzehnte ihrer Vögelchen verlustig gegangen. Zu ihrer Zeit waren die Prunkgefäße des Historismus gerade nicht mehr "en vogue", Jugendstil und Art Deco waren auch in Meißen und somit in Wittlich die große Neukeit in Sachen Design.

Und für Nostalgiker ist manche alte Form auch heute noch zu haben. Ein Beispiel dafür ist ein Stück für den Sekretär: ein Tellerchen mit geschwungenem Rand, das einem Tintenfäßchen Halt gibt.

Transportiert werden konnte die Ware damals keineswegs von heute auf morgen. Daran erinnert ein weiteres Foto, das noch im Familienbesitz ist: Wohl verpackt kam alles zunächst mit dem Zug nach Wittlich.

Dann ging es und mit der üblichen Pferdestärke weiter zum Marktplatz. Dort wurde das kostbare Gut aus den schweren Kisten befreit und mit vorsichtiger Hand ansprechend im Laden ausgestellt.

Und was damals als entzückendes Porzellan galt, zählt auch heute noch für manchem zu den begehrtesten Stücken für die gute Stube, obgleich man sie fürs feine Tafeln nicht braucht sondern für den reinen Augenschmaus: Mensch und Tier als zerbrechliche Figürchen sind auch 100 Jahre nach der Geschäftsidee einer Wittlicherin noch heute geschätzte Dekorationsartikel.

Und die Stars aus Meißen sind längst wertvolle Sammlerstücke.

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