Kein Geld mehr: Ärzte bangen um Existenz

Auswirkungen der Gesundheitskrise auf Ärzte am Beispiel Wittlich: Die Wittlicher Mediziner Joachim Hölle-Gindorf und Marie-Luise Stadelmann sollen mit 40 Prozent weniger Budget auskommen - bei gleicher oder größerer Patientenzahl. Der Grund: Die Kassenärztliche Vereinigung hat das Leistungs-Budget für gesetzlich Versicherte im vierten Quartal 2009 drastisch gesenkt.

Wittlich. "Hier geht es um meine Existenz", erklärt Rheumatologin Dr. Marie-Luise Stadelmann aus Wittlich, die seit 30 Jahren in diesem Fachbereich arbeitet. Nach den 40 Prozent Einbruch beim Regelleistungsvolumen (RLV) im vierten Quartal hat sie gehandelt: "Ich musste Kurzarbeit anmelden. Das sind 20 Stunden pro Woche." Wenig Zeit für ihre Patienten, die oft von weit her kommen müssen, weil es in Rheinland-Pfalz nur acht solcher Praxen gibt. Die Folge: Behandlungstermine sind Mangelware, lange Wartezeiten an der Tagesordnung. Ihren Patienten gegenüber hat sie kein gutes Gewissen. "Aber sie stehen hinter mir, weil sie die Problematik begreifen."

Leistungen außerhalb des RLV, die zusätzlich erstattet werden (siehe Extra), kann die Ärztin nahezu nicht geltend machen. Pro Quartal erhalte sie pauschal 24 Euro pro Patient - egal, wie oft dieser zur Behandlung komme. Die Folge: "Ich zahle drauf, weil die Pauschalen nicht mehr ausreichen. Ich kann meine Angestellten nicht mehr bezahlen, obwohl ich meine Praxis noch mit etlichen Nebenjobs finanziere." Weil die Rheumatologin sparen muss, wird bald ein Kollege mit ihr die Praxis teilen.

Auch für den Chirurgen Dr. Joachim Hölle-Gindorf war die Kürzung des Budgets ein Schock. "Ich fühle mich ohnmächtig", sagt er. Bei ihm und seinem Geschäftspartner mache das im Vergleich zum ersten Quartal 40 Prozent aus. "Wir arbeiten die letzten drei Wochen eines Quartals umsonst, weil die Gelder aufgebraucht sind", fügt er hinzu.

Da Hölle-Gindorf nicht nur Arzt, sondern auch Unfallchirurg ist, könne er seine Praxis nicht einfach bis zum kommenden Quartal schließen, wie andere Ärzte das mittlerweile tun würden. Der Chirurg trägt nicht nur für seine Patienten die Verantwortung, sondern auch für seine zehn Angestellten. "Durch die Kassenleistungen können wir die Personalkosten nicht decken", sagt er. Durch Privatpatienten und Berufsunfall-Patienten könne er sich noch behelfen, weil bei diesen das Leistungsentgelt besser sei. Zudem könne er einige Leistungen erbringen, die außerhalb des RLV lägen - wie ambulante Operationen. Diese würden nämlich zusätzlich erstattet, erklärt er. Nach Anfrage bei der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) erklärt deren Sprecher Pascal Schnitzius, dass die Geldmenge nun einmal begrenzt sei. "Woher soll das Geld denn kommen?"

Trotzdem gebe es vor allem bei den Fachärzten eine Dilemma-Situation. "Es gibt Einzelfälle, die durch die Kürzung des Budgets im vierten Quartal an der Schmerzgrenze liegen."

Als Gründe für die drastische Senkung des Regelleistungsvolumens (RLV) im vierten Quartal nennt er die gesunkene Zahl der gesetzlich Versicherten mit Wohnort in Rheinland-Pfalz. Bei rund 87 Euro, die die KV pro Quartal und Versicherten von den Kassen erhalte, seien das 1,7 Millionen Euro weniger Einnahmen.

Schnitzius: "Die Situation im fachärztlichen Bereich verdeutlicht einmal mehr die Unterdeckung der ambulanten ärztlichen Versorgung." Bisher sind dem KV noch keine Ärzte bekannt, die aufgrund der Honorarproblematik aufgegeben oder ihre Praxen bis zum nächsten Quartal geschlossen haben. "Wenn sich die Honorar-Rückgänge fortsetzen, können wir jedoch davon ausgehen, dass mehr Praxen ihre Öffnungszeiten verkürzen werden." Schnitzius über die Zukunft: "Die Abstürze werden nicht so gravierend ausfallen wie im vierten Quartal dieses Jahres. Wir gehen davon aus, dass die RLV wieder höher liegen werden."

Ob die Fachärzte sich mit dieser Aussage zufrieden geben, bleibt abzuwarten. Dazu kommen gesetzlich versicherte Patienten, die immer länger auf ihre Termine warten müssen und sich so weiter als Patienten zweiter Klasse fühlen. Extra Das Regelleistungsvolumen (RLV) beschreibt den Betrag, der einer Praxis am Ende eines Quartals für die erbrachte Behandlung an gesetzlich Versicherten garantiert wird. Für die Berechnung des RLV wird der durchschnittliche Leistungsbedarf einer Arztgruppe herangezogen. Dieser berechnet sich danach, wie viel die Facharztgruppe 2007 abgerechnet hat, plus mögliche Kostensteigerungen. Daraus ergibt sich pro Patient eine Pauschale (zum Beispiel 24 Euro), die mit der individuellen Patientenzahl der Praxis aus dem vorigen Jahr multipliziert wird. Das Ergebnis ist das RLV. Wird es überschritten, werden also mehr Patienten behandelt als festgelegt, erhält der Arzt nicht mehr die volle Erstattung, sondern nur noch einen geringen Teil. Bestimmte Leistungen wie ambulante Operationen werden außerhalb des RLV zu einem festen Wert erstattet. Ärzten, die viele solcher Leistungen erbringen, macht lautKassenärztlicher Vereinigung die Senkung des RLV im vierten Quartal weniger zu schaffen, zum Beispiel Gynäkologen oder Gastroenterologen. (MRA)

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