"Man tut dem Herrn Scherl Unrecht"

Wen kann man zu Geschehnissen vor 70 Jahren befragen? Um ein wenig mehr über die Person Hanns Scherl zu erfahren, dem man erhebliche "Nazi-Verstrickungen" vorwirft, hat sich der TV an den 92-jährigen Willhelm Schrot gewandt und ihn um seine Einschätzung gebeten.

 Willhelm Schrot. Foto: Sonja Sünnen

Willhelm Schrot. Foto: Sonja Sünnen

Wittlich. (sos) Der Ruf von Willhelm Schrot ist untadelig. Der Ehrenbürger der Stadt kennt sich mit der Stadtgeschichte aus und hat viele bereits verstorbene Wittlicher noch persönlich erlebt. Auch er hat von den Vorwürfen gegen Hanns Scherl erfahren, nach denen der verstorbene Bildhauer eine "Nazi-Vergangenheit" haben soll. "Was ich von der Diskussion um Hanns Scherl halte? Ganz einfach: Dass man dem Herrn Unrecht tut", sagt Willhelm Schrot und zuvor erklärt er: "Bei mir sind sie an der richtigen Adresse, denn praktisch keiner hat Scherl im so genannten Dritten Reich so genau erlebt." Der Ehrenbürger kennt auch die Verbindung von Hanns Scherl zu Peter Kremer, der 1938 den Artikel im Wittlicher Tagblatt geschrieben hat, der nun eine Grundlage der Vorwürfe gegen den Wittlicher Künstler geworden ist (der TV berichtete). "Peter Kremer war nach meiner Erinnerung nach Mehs der letzte Vorsitzende der Zentrumspartei vor der Machtergreifung durch die Nazis. Dafür wurde er auf offener Straße geohrfeigt. Er war schon immer an heimatlichen Themen interessiert, deshalb wollten die Nazis seine Kräfte nutzen und spannten ihn in ihre politische Propaganda mit ein." Peter Kremer sei oft zu ihm gekommen und habe gesagt: "Guck´ mal, da soll ich wieder was schreiben." Dann habe er diskutiert, auch mit Hanns Scherl, "wie weit kann man gehen, wie weit muss man gehen?". "Niemals in einer Uniform in der Stadt gesehen"

Und Willhelm Schrot wird deutlich: "Ein Ablehnen solcher Aufträge hätte für ihn sofort entsprechende Konsequenzen gehabt. Man darf nie die totalitäre Drucksituation vergessen. Das war eine Zeit, in der Eltern nicht offen in Anwesenheit ihrer Kinder sprechen durften, die wurden ja dann in der Schule ausgefragt." Und dann kommt der 92-Jährige auf den früheren Bürgermeister Matthias Mehs zu sprechen: "Mehs hatte in diesen Jahren ja eine ganz klare Linie, wenn auch nicht in offener Gegnerschaft. Er konnte verhindern, dass Adolf Hitler Wittlicher Ehrenbürger wurde. Als er einmal im Kasten an der Post das Hetzblatt ,Der Stürmer' las, kam einer von der Gestapo und fragte ihn, was er denn von dieser Zeitung halte. Da sagte Mehs: ,Das ist die nationalsozialistischste Zeitung, die ich überhaupt kenne.' Und Mehs und Scherl haben sich in dieser Zeit und danach hervorragend verstanden. Der Herr Mehs hätte sich nie mit einem Scherl, wenn der ein echter Nazi-Freund gewesen wäre, abgegeben." Und was sagt der Zeitzeuge zu den umstrittenen Grafiken für den so genannten Opferring des Kreises Wittlich, in denen Hanns Scherl 1936 beispielsweise den Umriss des damaligen Kreises Wittlich mit einem Hakenkreuz hinterlegt gestaltet hat und zu denen Kremer den Text schrieb? "Ach der Hanns Scherl. Der war doch damals als Halbwaise armselig bis dort hinaus, der war drauf angewiesen auch mal einen Auftrag zu bekommen. Er wurde wohl aufgefordert, das zu machen, aber er hat sich denen niemals angebiedert. Und man muss sich den ungeheueren Druck vorstellen, in den man eingezwängt wurde. Die Druckgrafiken sind letztendlich ein Beweis für die Totalität des Regimes. Ich erinnere zum Beispiel daran: Alle Soldaten wurden auf Hitler bis zum Tode vereidigt." Im Übrigen zum Vorwurf, Scherls sei Oberscharführer der HJ gewesen, meint Willhelm Schrot, schon 1936 seien etwa Mitglieder der katholischen Jugend, der Kolpingsfamilie oder andere der NSDAP fernstehende junge Männer aufs Rathaus bestellt und ihnen sehr nahe gelegt worden, den Parteiorganisationen beizutreten. Und außerdem, so Willhelm Schrot über Scherl: "Ihn habe ich niemals in einer Uniform in der Stadt gesehen." Und was würde der ebenfalls insbesondere wegen seiner kritischen Haltung zum Nazi-Regime bekannte Matthias Mehs wohl zur derzeitigen Debatte über Hanns Scherl sagen? Wilhelm Schrot meint: "Ja, wenn er das mitkriegen könnte, da oben: ,Jo, der Schrots Willi hat recht.'"

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