Menschen bewaffnen sich: Schreckschusspistolen und Pfeffersprays in Bernkastel-Kues zeitweise ausverkauft

Bernkastel-Kues · 227 – so viele Kleine Waffenscheine hat die Kreisverwaltung Bernkastel-Wittlich bereits in diesem Jahr ausgestellt, Tendenz steigend. Im vergangenen Jahr waren es nur 35 Anträge. Besonders beliebt sind in der Region Schreckschusspistolen und Pfeffersprays.

Johannes Kirsten ist Büchsenmacher und hat ein Geschäft in Bernkastel-Kues am Marktplatz. Dort verkauft er selbst gemachte Gewehre und Jagdzubehör. In seinem Sortiment befinden sich ebenso Pfefferspray und Schreckschusswaffen, mit denen sich auch Pfefferpatronen und Signalpatronen abschießen lassen. Die Nachfrage danach ist in diesem Jahr, im Vergleich zu 2015, stark angestiegen. "Nach den Vorfällen in der Silvesternacht in Köln, zu Beginn des Jahres, waren wir ausverkauft", sagt Kirsten. Kein Hersteller in Deutschland habe mehr Pfefferspray und Schreckschusspistolen liefern können. Aus dem ganzen Land habe er Kaufanfragen bekommen, weil die Nachfrage überall größer gewesen sei als die Lagerbestände der Händler.

Jeder Bürger, der älter als 18 Jahre ist, dürfe sich beispielsweise eine Schreckschusspistole kaufen. Doch so jung seien die Kunden selten, erklärt Kirsten. Die seien meist im mittleren Alter. Männer kauften Pistolen, Frauen bevorzugten Pfeffersprays. Als Gründe für den Kauf einer Waffe oder der Sprays gäben die Kunden an, oft alleine im Wald spazieren zu gehen, Einbrüche in der Nachbarschaft oder einfach nur Angst vor den aktuellen Entwicklungen zu haben.
Johannes Kirsten sichert sich ab.

Jeder, der bei ihm eine Schreckschuss-, Reizstoff- oder Signalwaffe kaufe, müsse eine sogenannte Hinweisverpflichtung abgeben. Darin müsse der Käufer unter anderem bestätigen, dass er die Waffe nicht in der Öffentlichkeit führe. Außerdem, dass wenn er es doch tun möchte, einen Kleinen Waffenschein bei der Kreisverwaltung beantrage.

Laut des Pressesprechers der Kreisverwaltung Bernkastel-Wittlich, Manuel Follmann, hat die Behörde in 2016 bereits 227 solcher Anträge für den Kleinen Waffenschein ausgestellt. Das seien fast sechseinhalb Mal so viele wie 2015 (35 Anträge). Auch in anderen Kreisen und Städten wie Trier-Saarburg und Trier liegt ein solcher Anstieg von Anträgen vor (siehe Hintergrund). Um einen Kleinen Waffenschein zu bekommen, prüfe die Behörde (siehe Extra), ob der Antragsteller die persönliche Zuverlässigkeit und die Eignung besitzt und ob er älter als 18 Jahre ist.

Für den Erfolg des Antrags sei aber keine Angabe von Gründen notwendig, da es in Deutschland auch keine Bedürfnisse für den Besitz einer solchen Waffe gäbe, die begründet werden müssten, erläutert Follmann. Der Büchsenmacher Johannes Kirsten erzählt, dass in anderen europäischen Staaten die Waffen sogar ganz verboten seien. Deswegen kämen auch aus den Niederlanden und Belgien Kunden zu ihm ins Geschäft.

Trotz der vielen Käufer gehöre aber der Verkauf von Schreckschusspistolen und Pfefferspray nicht zu seinem Kerngeschäft: Er sei Büchsenmacher, stelle teure seltene Gewehre her, seine Familie tue das schon seit fast 127 Jahren. Das wolle er auch weiterhin machen.

Deswegen sichere er sich mit der Hinweisverpflichtung ab, um nicht seine Waffenhandelslizenz und damit seine Existenz zu verlieren.
Extra Antrag

Beantragt ein Bürger einen Kleinen Waffenschein, prüft die Verwaltung ob dieser sich dafür eignet. Laut Follmann werden hiefür zunächst Daten vom Einwohnermeldeamt herangezogen. Danach bestelle die Behörde einen Auszug aus dem Bundeszentralregister sowie dem zentralen Staatsanwaltschaftlichen Verfahrenregister. Außerdem arbeite die Verwaltung mit dem Landeskriminalamt zusammen. Entstünden daraus keine Zweifel, werde der Schein gegen eine Gebühr von 50 Euro ausgestellt. grau
Hintergrund

Zahlen in Trier und Trier-Saarburg: Die Zahl der Anträge auf Ausstellung des Kleinen Waffenscheins stieg in Trier von 29 im Jahr 2015 auf bisher 150 in 2016. Das ergab eine Anfrage von Wolfgang Schmitt (Die Linke) im Dezernatsausschuss III. Im Kreis Trier-Saarburg ist die Steigerung noch gravierender als in Trier. "2015 gab es 27 Anträge, 2016 waren es bis jetzt 183", erläutert Thomas Müller, Sprecher der Kreisverwaltung Trier-Saarburg, auf Anfrage des TV. jp
Kommentar: Das Dilemma mit der Bewaffnung

von Sebastian Grauer

Die Bewaffnung gegen die Angst ist ein Teufelskreis. Je mehr Bürger sich bewaffnen, desto mehr Bürger wollen sich bewaffnen. Denn ist der Nachbar plötzlich im Besitz einer Pistole, entsteht Angst bei jenem Nachbar, der keine hat. Mit der Folge, dass auch er sich eine kauft. Getreu dem Motto: "Es ist kein Problem, solange du eine Waffe hast. Es ist nur dann ein Problem, wenn ich keine habe." In den USA kennt man diese Spirale längst. Dort diskutiert man nach jedem Amoklauf an einer Schule oder Universität deswegen auch über die Bewaffnung von Lehrern. Und wir alle bekommen mit, wie schwer es dort ist, den einmal ins Rollen gebrachten Stein, wieder zu stoppen. Das sollten wir uns in Erinnerung rufen, wenn wir im Begriff sind, eine Waffe zu kaufen. Denn damit machen wir uns nur gegenseitig Angst.
s.grauer@volksfreund.de

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