Rechts außen rückt ins Zentrum

Nicht nur Glatzköpfe in Springerstiefeln vertreten rechtsextreme Meinungen. Ausländerfeindliche und antisemitische Parolen erfahren auch in der Mitte der Gesellschaft Zustimmung. Die meisten der etwa 70 Zuhörer im Wittlicher Haus der Jugend waren vom Ergebnis einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung nicht wirklich überrascht. Heftig diskutiert wurde dennoch.

Wittlich. Im Haus der Jugend blickt Dietmar Molthagen, Leiter des Projekts gegen Rechtsextremismus bei der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung (FES), vorwiegend in Gesichter mittleren Alters. Molthagen ist nach Wittlich gekommen, um die Ergebnisse der von der FES in Auftrag gegebenen Studie "Vom Rand zur Mitte - Rechtsextreme Einstellungen und ihre Einflussfaktoren in Deutschland" (siehe Extra) zu erläutern. Vor dem Fingerzeig auf die im Publikum schwach vertretene Jugend bewahrte aber schon eine zentrale Erkenntnis der Untersuchung: Anfällig für rechtsextremes Gedankengut sind nicht nur die 14- bis 24jährigen. Stattdessen gilt: Den in der Studie abgefragten rechtsextremen Aussagen - etwa "Der Nationalsozialismus hatte auch seine guten Seiten" - schlossen sich Vertreter aller Altersgruppen, Bildungs- und Bevölkerungsschichten an. Das erschwert nicht nur die zielgerichtete Bekämpfung rechtsextremen Gedankenguts. Es gestaltet auch die Suche nach den Ursachen schwierig. Die Angst vor sozialem und wirtschaftlichem Abstieg, das Gefühl politischer Ohnmacht - derlei Gemütszustände machen es zwar wahrscheinlicher, dass eine Person rechtsextremen Gedanken zuneigt. Sie erklären das Phänomen aber nicht umfassend. "Menschen mit einem geschlossenen rechtsextremen Weltbild sind mit ihrem Leben oft auch sehr zufrieden. Selbst wenn es morgen keine Arbeitslosen mehr gäbe, hieße das nicht, dass wir dann auch keine Rechtsextremen mehr hätten" erklärt Molthagen. Länger als der Vortrag dauert die von Dieter Burgard (SPD-Stadtrat und MdL) moderierte Diskussion. Ob engagiert bei "Pax Christi" oder aktiv in der"Arbeitsgemeinschaft Frieden", ob Lehrer oder Elternvertreter - vor allem Menschen aus der Zivilgesellschaft beteiligen sich. Weniger um eine Frage an den Referenten zu richten, mehr um eigene Erfahrungen im Kampf gegen Rechtsextremismus beizusteuern und auch um Ansprüche an den jeweils anderen loszuwerden. Mit Blick zum Podium ruft ein Lehrer nach stärkerer Unterstützung aus Mainz. Mehr politische und historische Bildung in Schulen fordert eine Elternvertreterin. Bis zur Nazizeit stoße der Geschichtsunterricht oft gar nicht vor. Ein Schüler verneint das sofort. So entsteht ein facettenreiches, auch widersprüchliches Bild. In Teilen hinterlässt die Debatte den Eindruck, dass viele Engagierte sich allein gelassen fühlen. In jedem Fall bewegt das Thema: Etliche Wortmeldungen begleitet heftiges Getuschel. Unruhe liegt im Saal. Noch während jemand spricht, werden Köpfe zusammengesteckt. Ein Fazit der Debatte: Einig in der Ablehnung sind die Sichtweisen auf die Ursachen rechtsextremer Einstellungen vielfältig. Ungewohnt still ist es, als zum Ende der Debatte eine Dame aus der hintersten Reihe spricht. Ihren Namen will sie nicht nennen, "weil ich aus einem kleinen Dorf komme". Wo sie wohne, sei der Fremde nicht nur der Ausländer, sondern generell "der, der anders ist". Wer den Anfängen wehren wolle, solle bei sich und in seinem Umfeld damit beginnen. Extra: Die Rechtsextremismus-Studie "Die Studie der Ebert-Stiftung ist sehr gut gearbeitet und zeichnet sich durch ihre hohe Qualität aus. Es ist keine im Sinne der SPD politisch gefärbte Studie", sagt Dr. Markus Linden, Politikwissenschaftler an der Universität Trier. Für die im Jahr 2006 erhobene Untersuchung wurden 5036 zufällig ausgewählte Deutsche zwischen 14 und 92 Jahren befragt. Der Testbogen umfasste 18 als rechtsextrem eingestufte Aussagen. Wer allen Aussagen "überwiegend" oder "voll und ganz" zustimmt, verfügt laut Studie über ein "geschlossenes rechtsextremes Weltbild". Das trifft auf 8,6 Prozent der Befragten zu. Etwa der Aussage "Deutschland ist durch die vielen Ausländer in einem erheblichen Maß überfremdet" stimmten 23,4 Prozent "überwiegend" und 15,7 Prozent "voll und ganz" zu. Im Themenfeld "Ausländerfeindlichkeit" sind die West-Ost-Unterschiede am größten. In den anderen abgefragten Feldern wie "Staatsverständnis" oder "Verharmlosung des Nationalsozialismus" ist die Zahl rechtsextremer Einstellungen in Ostdeutschland nur unwesentlich größer als im Westen. Mehr Informationen unter: www.fes.de. Dort: Rubrik "Publikationen".

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