Spektakulärer Weiberdonnerstag vor dem Aus: Ist’s bald vorbei mit der Rathausstürmerei?

Wittlich · Da waren’s nur noch acht: Das ist die Zahl der Wittlicher Möhnen, die für ein Riesenspektakel an Weiberdonnerstag sorgen. Zwei der Damen, die die Tradition der Rathauserstürmung auf Leiter-Art mit Suppen-Sekt-Sprudelverkauf und Frauenregiment bis Veilchendienstag aufrecht erhalten, drohen mit Rücktritt, wenn sich kein Nachwuchs findet. Damit wär’s vorbei, mit der Rathausstürmerei.

Im Louvre in Paris hängt ein weltbekanntes Bild: "Die Freiheit führt das Volk": Eine Frau auf den Barrikaden!. Der französische Maler Eugene Delacroix dokumentiert damit 1830 den revolutionären Aufstand der Pariser zum Sturz der Obrigkeit. Eine ernste, blutige Angelegenheit.

Auf dem Marktplatz in Wittlich gibt es immer an Weiberdonnerstag ein in der Region mittlerweile einzigartiges Bild: "Rathauserstürmung". Möhnen auf der Leiter! Private und Pressefotografen und auch der Kameramann vom Fernsehen filmen dann allesamt den traditionellen Aufstand der Wittlicher Frauen zur Entmachtung des Bürgermeisters bis Veilchendienstag. Eine spektakuläre, lustige Angelegenheit. Schlachtruf: Kreiau!

Gut einen Monat vor der nächsten Aktion am kommenden Weiberdonnerstag, 23. Februar, schlägt Obermöhne Jutta Weisenfeld gemeinsam mit ihrer langjährigen Co-Revolutionärin Rita Neukirch Alarm. Die Wittlicher Möhnen gehören quasi auf die Rote Liste: Vom Aussterben bedroht! Jutta Weisenfeld: "Ohne unsere Männer, ginge jetzt schon gar nichts mehr. Das ist sehr schlimm. Ich weiß auch nicht, warum das so ist. Vielleicht weil viele sich unter Möhnen nur alte Leute vorstellen, schwarz gekleidet…" "…Als würden wir nur da sitzen und stricken…", ergänzt Rita Neukirch. "…Und dat is total verkehrt! Et wär' halt schad', wenn wir aufhören müssten", sagt die Obermöhne, die seit 47 Jahren mitmacht. Mit "knapp 16" habe sie angefangen.

ur ein Mal hat sie an Karneval ausgesetzt: zur Geburt ihres Sohnes. Sie wirbt für den Traditionsauftritt: "Alle können mitmachen. Man muss nicht aus Wittlich sein und auch kein Platt können. Gut ist, wenn man schwindelfrei ist. Das muss aber nicht sein. Hauptsache, man ist gesellig und hilft auch mit." Als sie das erste Mal mitgezogen ist, waren es noch fast 30 Frauen. Jetzt sind es mit den weiteren Damen Martha Lex, Uschi Springer, Sandra und Conny Weber, Martine Wells, Monika Gassen nur noch ganze acht: Die Älteste über 70, die jüngste "eppes" über 30, schätzt Rita Neukirch.

Und es droht Ungemach: Wenn sich kein zusätzlicher Nachwuchs findet, haben zwei Möhnen angekündigt, auszusteigen, weil denen "das mittlerweile zu viel Arbeit und zu stressig" ist, sagt Jutta Weisenfeld. Dann sei man zu sechst: zu wenig und müsste aufgeben: "Das gibt auch kein Bild mehr."

Wie lange es das Spektakel schon gibt, wissen die beiden nicht. Die, die noch etwas von den Anfangszeiten, vermutlich unter dem legendären Bürgermeister und auch Säubrennerkirmeserfinder Matthias Mehs, erzählen könnten, sind alle tot. Aber die Tradition selbst soll nicht aussterben. "Es ist aber mehr als nur vorne weggehen", sagt Rita Neukirch. Die beiden Aktiven erklären, es gehe eben nicht nur darum, die Leiter hochzuklettern, was sowieso nicht alle mehr könnten: "Dabei unterstützen uns deshalb ja mittlerweile auch die Feuerwehrfrauen und die Frau Rodenkirch", sagt die Obermöhne.

Was gehört denn sonst noch zum Möhnendasein? Da gibt es die Treffen an jedem zweiten Mittwoch im Monat ab 20 Uhr im Stammlokal Gasthaus Schneck, die Plätzchenaktion, bei der jede Möhne in der Weihnachtszeit 30 Plätzchentüten zu 200 Gramm für den guten Zweck spendet, die Teilnahme am Umzug und eben Weiberdonnerstag. Das heißt auch für ganze 250 Liter Erbsensuppe Kartoffeln schälen, Zwiebeln schneiden und 30 Kilo Fleischwurst schnippeln. "Das mache ich mit meinem Mann abends daheim. Danach kann ich eine ganze Woche keine Fleischwurst mehr sehen. Vor Weiberdonnerstag ist für mich immer Stress", sagt Jutta Weisenfeld, die ohne ihren Manfred die Wittlicher Frauenrevolution schon jetzt gefährdet sieht: "Ja der ist wohl eine große Stütze", sagt Weisenfeld, auch Rita Neukirch nickt. Sie kennt das: "Meiner stellt sich auch in den Stand und verteilt Suppe, dabei hat er es nicht so damit. Aber ohne unsere Männer könnten wir die Stände nicht besetzen."

Dort gibt es neben Erbsen- auch Gulaschsuppe, Würstchen und Brötchen, Getränke von Schnaps über Sekt und Likörchen plus naturgemäß Antialkoholika. Das Material dazu besorgt vorher die Obermöhne: "Ich bestelle alle Zutaten bei verschiedenen Geschäften, verhandele die Preise, besorge jedes Jahr die Schankgenehmigung und die Bons mit der jeweiligen Jahreszahl: Die werden übrigens gesponsert."

Nach der Eroberung des Rathauses dank der riskanten Kletteraktion, dem Kappen diverser Schlipse, der Kapitulation des mittlerweile fünften Bürgermeisters unter ihrer Regie, dem Halten der Möhnenrede samt Suppe auslöffeln und ganz viel Schunkeln, geht es durch die Stadt. Früher war man dabei noch maskiert, was den Effekt erhöhte. "Mit den Masken, dat war herrlich. Aber plötzlich wollten wir schöne Möhnen sein, aber mit Maske so unerkannt zu sein, dat fordert einen manchmal heraus! Und es ist schön, wenn die anden raten: ,Wer biste denn?'", sagt Rita Neukirch.

Trotz des akuten Nachwuchsmangels kann man aber auf einen großen Sympathisanten zählen. "Der Herrgott is'n Weddlia", sagt Obermöhne Jutte Weisenfeld: "Ein paar Tage vorher beten wir immer, dass wir schönes Wetter haben. Klappt."

Damit es weitergehen kann: Wer die Damen bei ihrer komplizierten Aktion unterstützen will, kommt entweder zum nächsten Treffen zum Schneck, bestellt vielleicht sogar den Klassiker "Cordon bleu", oder meldet sich bei Jutta Weisenfeld, Telefon 06571/8727. Vielleicht ist das auch für die neuen Möhnen der Anfang einer Lebensgrundlage im Alter. Diesen Trumpf spielt Jutta Weisenfeld ganz nebenbei aus. Durch die jährliche Zugteilnahme als Möhne hat sie unzählige Kostüme von der Inderin bis zum Clown gelagert. Das eröffne eine Existenzgrundlage: "Ich könnte eigentlich ein Karnevalscenter aufmachen." Kreiau!

Kommentar
Sonja Sünnen

Dass an Weiberdonnerstag auf dem Marktplatz gefeiert wird, ist der Möhnentradition zu verdanken. Das Spektakel, das Kinder wie Erwachsene anzieht, ist keineswegs selbstverständlich. Wenn die Frauen nicht mehr vor Publikum die Leiter erklimmen, war's das mit dem Straßenkarneval an diesem Tag. Hoffentlich finden sich ein paar tatkräftige Frauen, die gerne feiern, aber auch mitanpacken, damit die Veranstaltung, die ja auch von Feuerwehr bis Verwaltung unterstützt wird, nicht wegfällt. Vielleicht schafft es die Jugend vom Parkplatz Karrstraße dann auch bis zum Marktplatz.

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