Tabuthema: Demenzkrank am Steuer

Wittlich · "Holt ihr mir mein Auto weg, will ich nicht mehr Leben" - mit solchen Aussagen eines dementen Familienmitglieds beginnt für die Angehörigen oft eine Zeit der Angst. Was tun in der Situation? Ein Info-Abend des Caritasverbandes sollte Hilfestellung geben.

 Senioren am Steuer verursachen rein statistisch erst ab dem 75. Lebensjahr deutlich mehr Unfälle als der Durchschnitt der Autofahrer. Wie viele Unfälle auf Demenz zurückzuführen sind, ist unklar. Foto: dpa

Senioren am Steuer verursachen rein statistisch erst ab dem 75. Lebensjahr deutlich mehr Unfälle als der Durchschnitt der Autofahrer. Wie viele Unfälle auf Demenz zurückzuführen sind, ist unklar. Foto: dpa

Foto: Felix Kästle (m_kreis )

"Mein 80-jähriger Vater leidet sichtbar an Demenz, aber er will absolut nicht das Autofahren aufgeben. Wie soll er sich alleine auf dem Lande ohne Busanbindung auch anders helfen?" Eine Frage, die immer häufiger besorgte Angehörige trifft. Das Thema ist unbequem und wird von den Betroffenen oft so lange verdrängt, bis es nicht mehr weiter geht - oder es eines Tages schlimmstenfalls zu einem schweren Unfall kommt.

"Mobilität ist im Alter ein hohes Gut. Besonders im ländlichen Raum ist Autofahren für alleinstehende ältere Menschen die Grundlage zum Erhalt der Selbstständigkeit", sagt Margret Brech von der Wittlicher Fachstelle Demenz des Caritasverbandes. Doch wie lange sind die Betroffenen den komplexen Abläufen des Straßenverkehrs noch gewachsen? Brech: "Besonders gefährdet sind Menschen mit einer Demenzerkrankung. Und deren Dunkelziffer ist hoch, was eine Beratung erschwert." Sie spricht von einer juristischen Grauzone. Häufig würden Angehörige, Ärzte und Behörden mit einer Problematik konfrontiert, bei der es keine Patentlösung gebe.

Um eine Hilfestellung zu geben, hatte die Fachstelle Demenz des Caritasverbandes zu einem Info-Abend ins Wittlicher Haus der Vereine geladen. Als Referenten begrüßte Initiatorin Brech die Neuropsychologin Anne-Simone Glodowski vom Krankenhaus Maria-Hilf Ahrweiler und Dirk Hartenberger vom Trierer Polizeipräsidium. Glodowski sprach zum Komplex "Autofahren im Alter", wobei sie speziell das Demenzproblem beleuchtete. Wichtig zu wissen: In Deutschland wählen 65 Prozent aller Menschen im Alter über 68 Jahren noch das eigene Auto als erstes Verkehrsmittel. Dies gilt besonders für ländliche Regionen mit geringen Busangeboten. Mehr als 250 000 Autofahrer sind älter als 85 bei steigender Tendenz.

Eine weitere Statistik zeigt: Die höchste Unfallgefahr geht zunächst von den 22- bis 26-Jährigen aus. Dann sinkt die Kurve auf ein konstant niedriges Niveau, bis sie ab dem 75. Lebensjahr wieder steil ansteigt. Ein großes Problem ist die Demenz, die schleichend einsetzt und nicht meldepflichtig ist. Ärzte sind nur zur Beratung dieser Patienten verpflichtet, unterliegen aber auch der Schweigepflicht gegenüber Dritten.

"Langfristig führt jede Demenz zur Fahruntüchtigkeit, aber es gibt in Deutschland keine routinemäßige Fahrtauglichkeitsuntersuchung im Alter", erklärt die Referentin. "Die wird es in Deutschland auch wohl nie geben - eine politische Entscheidung im Interesse der Autoindustrie", ergänzt Polizeiexperte Hartenberger, denn "die meisten Neuwagenkäufer bei uns sind über 60 Jahre alt". Auffallen würden altersbedingt Fahruntüchtige nicht bei Routinekontrollen, sondern in der Regel nach Unfällen. Erst dann könne die Führerscheinstelle beim Kreis oder der Stadt eine ärztliche Tauglichkeitsuntersuchung anordnen. Von freiwilligen Führerschein-Abgabeaktionen für Senioren mit Feier und Dankurkunde hält der Polizeibeamte nichts, denn "auf dem Lande, wo zweimal am Tag ein Bus fährt, gibt niemand den Führerschein freiwillig ab". Einen weiteren Aspekt nennt die Fachärztin: "Auf dem Lande geht es um Geld und Häuschen. Wenn besorgte Kinder ihre Eltern melden, ist schnell das Erbe weg."

Ihre Empfehlungen: Das Problem möglichst früh in der Familie ansprechen und für eine sichere ärztliche Diagnose sorgen. Experten wie Fachärzte und Fahrlehrer hinzuziehen. Entscheidungen treffen - denn "das machen die Betroffenen nicht selbst". Konsequent bleiben, kein Zurückziehen auf Bitte der Betroffenen, auch wenn es schwerfällt.
Beratung gibt es bei der Fachstelle Demenz, Diplom Sozialarbeiterin Margret Brech, Telefon 06571/149728, E-Mail:
margret.brech@caritas-wittlich.deExtra

Fachärztin Anne-Simone Glodowski rät besorgten Angehörigen vom Alleingang ab, wenn Demenzkranke die Eigeneinsicht verloren haben. Als erfolgreich habe sich die Hilfe außenstehender "Autoritäten" erwiesen. Beispielsweise eine Fahrverhaltensbeobachtung (FVB) durch einen Fahrlehrer (Kosten etwa 50 Euro). Das Ergebnis ist vertraulich, der Betroffene muss bei schlechtem Abschneiden nicht mit einer Mitteilung an die Behörde rechnen. Glodowski: "In den seltenen Fällen, wo sofort völlige Fahruntauglichkeit vorlag, konnten die Betroffenen überzeugt werden. Bei einer Beobachtungsfahrt ist einer sogar von selber rechts rangefahren und hat aufgegeben." f.k.Extra

Wie viele Menschen leiden im Kreis Wittlich-Bernkastel an Demenz? Margret Brech, Fachstelle Demenz, rechnet die Zahl von bundesweit 1,5 Millionen Kranken auf 80 000 Betroffene in Rheinland-Pfalz und rund 2400 im Kreis herunter. Fachärztin Glodowski und Polizeiexperte Dirk Hartenberger halten diesen Ansatz für zu hoch. Außerdem sage die Zahl nichts über die wirkliche Zahl der autofahrenden Demenzkranken aus."Wir haben keine Übersicht, wie viele Fahrer im Kreis über 75 Jahre alt sind, denn die Fahrerlaubnis wird nach dem Datum ihrer Antragstellung, aber nicht nach dem Alter des Inhabers registriert", sagt Kreissprecher Manuel Follmann. Wenn im Kreis Fahrerlaubnisse wegen altersbedingter Schwächen eingezogen würden, so Follmann, seien dies Einzelfälle und keineswegs nur auf Demenzerkrankungen beschränkt. f.k.

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