Viel Platz zum träumen

Seit dem 10. Dezember gibt es die Stadtbuslinie 306. Bis zum Jahreswechsel konnte jeder sogar kostenlos damit fahren. Sie rollt in einer Art "Acht" mit Schnittpunkt am Zentralen Busbahnhof (Zob) als einjähriges Probeprojekt durch die Stadt und löst die frühere "Krankenhauslinie" ab. Gestartet hatte die Diskussion um einen Stadtbus die Grünen-Fraktion, die ihre Ursprungs-Idee nicht wiedererkennt.

Wittlich. Von acht bis 11.45 Uhr bekommt ein normaler Linienbus der Rhein-Mosel-Verkehrsgesellschaft (RMV) die Nummer 306 und wird zum Stadtbus. Dann ist Pause, ab 14.28 Uhr rollt er wieder, bis 18.13 Uhr. Bei der "306-Fahrt" am Mittwochnachmittag steigt nur die Presse ein. Die Grünen-Kommunalpolitiker Ute Hahn und Hans-Jörg Krames folgen. "Normale" Fahrgäste warten später im Klausener Weg: ein Rentnerpaar. "Wir fahren alle acht Tage zu Real. Zum Stöbern", sagt die Dame. Später nutzt ein Herr den Stopp am Krankenhaus, und drei Schüler wollen zum Peter-Wust-Gymnasium. Dass sie im "Stadtbus" sitzen, wissen sie nicht. Zwei von ihnen sagen: "Für den Nachmittagsunterricht ist das praktisch und angenehm. Morgens im Schülerverkehr sind die Busse ja total überfüllt." Sie können die Schülerkarte nutzen. Auch mit Schwerbehindertenausweis oder Monatskarte (48 Euro für Wittlich) ist die Fahrt frei. Ansonsten kostet der Einzelfahrschein 1,70 Euro. Busfahrer Frank Winter glaubt, dass sei manchem zu viel. An den meisten Haltestellen kann er sich den Stopp sparen. Niemand wartet. "Der Fahrplan ist unglücklich. Zielgruppe sind ältere Menschen. Und wer am Zob einsteigt und zum Krankenhaus will, muss erst die Runde durchs Industriegebiet nehmen, das müsste umgekehrt sein", sagt Ute Hahn, Grünen-Stadtverbands-Sprecherin. Auch wer vor acht Uhr zur Arbeit muss, kann den Bus nicht nutzen. Hans-Jörg Krames, für die Grünen im Stadtrat, findet das Konzept "eine Frechheit. Wir wollten einen kleineren Bus, feste Taktzeiten und vor allem eine Anbindung der Stadtteile." Seine Fraktion sei enttäuscht, dass letztendlich die Krankenhauslinie, die nicht zufriedenstellend funktionierte, nur umstrukturiert worden sei. Ihr Vorschlag war gründlich geprüft worden. Ihr Wunsch-System für rund 300 000 Euro im Jahr, von dem die Stadt theoretisch 150 000 Euro zu tragen gehabt hätte, war von der Ratsmehrheit als zu teuer abgelehnt worden. Kritik an fehlender Werbung und den Haltestellen

Für das Probejahr der Linie 306 zahlt die Stadt 26 500 Euro an die RMV. Beim Praxistest im so gut wie leeren Bus meint Hans-Jörg Krames auch: "Mehr Werbung wäre gut gewesen: mit einem Fest, Plakaten, Luftballons." Auch kritisiert er den Zustand der Haltestellen: Entweder fehle eine Bank oder sie sei verschmutzt: "Das wirkt unfreundlich und müsste besser gepflegt werden." Kurz vor Ende der Stadtrundfahrt am Zob ist der Bus längst wieder leer, von Kommunalpolitikern, Presse und Fahrer einmal abgesehen. Meinung Eine Nummer zu groß Wer Autofahrer ist, steigt kaum um auf einen Bus und die Umstände, die der mit sich bringt. Wer jung ist, marschiert oder fährt Rad. Für die Zielgruppe ältere Menschen ist der neue Stadtbus wohl auch nicht attraktiv. Die, die nicht per Ausweis kostenlos fahren, schreckt womöglich auch der Preis, immerhin 3,40 Euro hin und zurück, fast sieben Mark. Die Routen sind weniger umständlich, als man meint, da der Bus nur da hält, wo jemand wartet. Eine Testfahrt etwa zum Vergnügen als Stadterkundung der etwas anderen Art kann man nur empfehlen. Leider ist die Stadtbuslinie am Zob als Fahrplan nicht extra ausgehängt. Vielleicht brächte das etwas mehr Aufmerksamkeit. So wie jetzt umgesetzt, reißt das System niemanden "vom Hocker" und bleibt "gut gemeint". Die Ursprungsidee hätte wohl mehr Mitfahrer gewinnen können. Doch die Kosten sind hoch und politisch nicht gewollt. Zwar sind die Jahresnutzerzahlen noch abzuwarten, aber es scheint, als sei die jetzige Investition der Beleg eines guten Willens, nicht mehr und nicht weniger. Dafür sind "nur" 26 500 Euro im Jahr auch zu viel. s.suennen@volksfreund.deExtra Zahlen und Daten: Laut Pressesprecher der Stadtverwaltung, Ulrich Jacoby, liegen "keine Zählergebnisse oder Erkenntnisse zum Umfang der Inanspruchnahme vor". Mit der RMV sei vereinbart, dass Zahlen pro Quartal vorgelegt werden. Für die Linie zum Krankenhaus zahlte man laut Hans-Jörg Krames 23 600 Euro an die RMV. Der neue Betrag 26 500 Euro gelte für das auf ein Jahr befristete Pilotprojekt. Reaktionen zum neuen Stadtbussystem lägen der Stadt nicht vor. (sos)

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