Weite Reise für Bücherschrank: Einmal Potsdam und zurück

Hetzerath · In Hetzerath soll aus einer alten Telefonzelle ein öffentlicher Bücherschrank werden. Doch das ist gar nicht so einfach.

Das neue Telefon hat moderne Wähltasten, gegen Zuzahlung wahlweise die Farben pop-orange oder moosgrün, und für 3,50 Mark im Monat gibt es fünf Meter Mietkabel mit Aufroll-Automatik. So sah vor 30 Jahren der Fortschritt im Telekommunikationswesen aus. Damals kam die Rechnung noch vom Fernmeldeamt, und wer mit der ersten heimlichen Liebe flirten wollte, ohne dass die ganze Familie zuhört, wusste Telefonzellen zu schätzen.

Mittlerweile hat sich die Technik zwar rasant weiterentwickelt, und "das Amt" heißt heute Telekom AG. Im Verwaltungsapparat freilich scheint hier und da noch so manche Warteschleife besetzt zu sein, wie folgende Episode aus Hetzerath beweist. Dort nämlich fristet im Schatten des Verkehrskreisels seit Jahr und Tag eine alte gelbe Telefonzelle ihr mittlerweile doch recht trauriges Dasein. Weshalb die Telekom jetzt schriftlich mitteilte, selbige zeitnah abzubauen.

"Bitte stehen lassen - wir kaufen sie", funkte Ortsbürgermeister Werner Monzel zurück - nicht etwa, weil in Hetzerath das Zeitalter von Handy, Smartphone, SMS und Whatsapp noch nicht angekommen wäre. Sondern weil man in einer solchen leeren Telefonzelle doch prima einen öffentlichen Bücherschrank einrichten könnte - eine Art anonyme Tauschbörse für ausgelesene Bücher, bei der jeder kostenlos bringen und mitnehmen darf, wie es ihm gefällt.

Münzfernsprecher-Technik raus - Regal mit Schmökern rein: Wer hier auf den kurzen Dienstweg gesetzt hat, ist bei der Telekom leider falsch verbunden. Denn der korrekte Dienstweg sieht vor, dass alle ausgedienten Telefonzellen (und von denen gibt es deutschlandweit viele tausend) zunächst in ein Zentrallager nach Potsdam verfrachtet werden. Dort kann man sich dann auf Antrag und gegen Entrichtung von 450 Euro eine solche alte Telefonzelle abholen - macht hin und zurück knapp 1500 LKW-Kilometer plus Frachtkosten im dreistelligen Bereich.

Ausnahmen von diesem unverständlich umständlichen Prozedere seien "leider nicht möglich", erfuhr der Volksfreund auf Nachfrage bei der Pressestelle der Telekom. Unbeantwortet blieb dort allerdings die Frage, ob das Beharren auf dem bürokratischen Prozedere vielleicht in Zusammenhang mit der Tatsache steht, dass die Gemeinde beim Thema "schnelles Internet" auf Telekom-Wettbewerber innogy setzt.

Und auch im folgenden Punkt bliebt ein leichter Beigeschmack: Solch eine nostalgisch-gelbe Telefonzelle, wie sie jetzt an Ort und Stelle steht, werden die Hetzerather nämlich nicht zurückbekommen - diese werden an handverlesene Interessenten verkauft. Im Internet gibt es dafür Liebhaber-Auktionen mit Mindest-Geboten teilweise weit über 1000 Euro. Immerhin sollen laut Telekom die stattdessen angebotenen magenta-silberfarbigen Telefonhäuschen in baulich einwandfreiem Zustand sein -etwaige Mängel durch langjährigen Gebrauch würden in Potsdam repariert, hieß es auf Rückfrage.

Leidtragender des "Schildbürgerstreichs" (Zitat Werner Monzel) der Telekom ist jedenfalls der kleine Hetzerather Verein Projektwerkstatt Zukunft, der den öffentlichen Bücherschrank in seine Obhut hatte nehmen wollen - und eigentlich auch weiterhin gerne nehmen will. Den Kaufpreis in Höhe von 450 Euro für die ausrangierte Telefonzelle hätte man ja auch bezahlt, wenn diese hätte einfach stehen bleiben können - schließlich war dafür ja sogar schon ein Sponsor gefunden.

Jetzt aber fehlt noch das Geld für den unfreiwilligen Telefonhäuschen-Tourismus quer durch ganz Deutschland. Weshalb tröstende Hilfe durch Spenden dringend gesucht und gerne entgegengenommen wird.
Das Spendenkonto des Vereins steht ?auf dessen Internetseite
www.projektwerkstatt-zukunft.de.
EXTRA

Das Projekt
Ein Bücherschrank im ausrangierten Telefonhäuschen. Falls an solch einer Idee auch anderswo im TV-Verbreitungsgebiet Interesse besteht, bietet der Verein Projektwerkstatt Zukunft seine Zusammenarbeit an, um den Aufwand beziehungsweise die Transportkosten von Potsdam in die Region auf mehrere Schultern zu verteilen.
Kontaktaufnahme per E-Mail an? info@projektwerkstatt-zukunft.de.
In Thalfang ist man einen anderen Weg gegangen: Dort gibt es seit Kurzem eine zum Bücherschrank umfunktionierte Telefonzelle, die im Internet ersteigert wurde.

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