Wenn die Oma die Butter nicht mehr findet

Wittlich · Wie geht man mit demenzkranken Menschen im Geschäfts-Alltag um? Elf Einzelhändler nutzten ein Schulungsangebot des Landkreises zu dieser Frage. Es gab Tipps, Verhaltensregeln anhand praktischer Beispiele und Hintergrundinformationen zur Krankheit von Experten.

 Petra Henkel hat, neben zehn weiteren Teilnehmern, bei der Schulung des Einzelhandels zum Thema Demenz mitgemacht. Ihr gegenüber: Klaus Hofmann, Leiter des Bildungswerks des Roten Kreuz. TV-Foto: Christina Bents

Petra Henkel hat, neben zehn weiteren Teilnehmern, bei der Schulung des Einzelhandels zum Thema Demenz mitgemacht. Ihr gegenüber: Klaus Hofmann, Leiter des Bildungswerks des Roten Kreuz. TV-Foto: Christina Bents

Foto: Christina Bents (chb) ("TV-Upload Bents"

Wittlich. "Ich möchte gerne zehn Kilo Mehl." Diesen Satz hört der Verkäufer des rollenden Einkaufsmarkts jede Woche, wenn er bei seiner Tour durchs Dorf bei Herrn H. anhält. Dabei lebt der über 80-Jährige allein und bekommt das Essen mittags fertig gekocht nach Hause geliefert. Es ist also offensichtlich, dass er diese Menge nicht braucht. Der Verkäufer ist unsicher, wie er sich verhalten soll. Soll er mit dem Mann diskutieren? Soll er ihn anschwindeln und sagen, er hat nicht so viel Mehl da?
Mit diesem Beispiel eröffnete Klaus Hofmann, Leiter des Bildungswerks des Deutschen Roten Kreuzes Eifel-Mosel-Hunsrück, einen Schulungsabend im Fürstenhof in Wittlich.
Thema: Wie verhält sich der Einzelhandel zu demenzkranken Menschen als Kunden. Elf Einzelhändler, aus Geschäften wie Edeka, Bungert, Henkel Mode und der Metzgerei Illigen wollten sich darüber informieren. Sie haben vereinzelt schon mit Demenzkranken zu tun gehabt.
Dana Herrmann wird beispielsweise jede Woche von einer älteren Dame gefragt, wo in ihrem Geschäft die Butter steht. Sie geht dann Woche für Woche mit, und zeigt es ihr.
Petra Henkel, hat festgestellt, dass demente Menschen oft mit ihren Angehörigen Kleidung einkaufen und dann Diskussionen entstehen, wenn der Demente nicht das will, was der Angehörige möchte. Sie versucht dann mit Fingerspitzengefühl zu vermitteln.
Dozent Bernd Billadelle, der Altenpfleger und Heimleiter war, erklärt dazu, dass es nichts bringe, mit einem Demenzkranken zu diskutieren: "Mit einem Demenzkranken verlieren Sie jede Diskussion."
Es gibt noch andere Probleme: Im Einkaufszentrum Schlossgalerie ist es wohl so, dass sich demente Menschen, hier nicht orientieren können und die Verkäufer dann nicht wissen, an wen sie sich wenden sollen, um Hilfe zu bekommen.
Klaus Hofmann empfiehlt, einen Pflegedienst anzurufen. Dort wisse man, wie man die Menschen ansprechen könne und zu ihren Angehörigen bringe.
Es gibt auch allgemein mit dem Alter zusammenhängende Themen, wenn Kunden insgesamt älter und gebrechlicher werden.
Darauf hat sich der Einzelhandel schon eingestellt. Beispielsweise gibt es im Bungert Warenhaus Lupen an den Regalen sowie einen Rollator und einen Rollstuhl zum Ausleihen an der Information. An konkreten Tipps gibt Billadelle dazu unter anderem, dass man mit den Menschen langsam und in einfachen Sätzen sprechen solle, Blickkontakt wichtig sei, man aufmerksam zuhören und eine andere Wahrnehmung akzeptieren solle.
Anschuldigungen oder Beschimpfungen der dementen Personen nicht persönlich nehmen und vor allem ruhig bleiben und nicht diskutieren. Schwindeln ist in einigen Fällen sinnvoll, beispielsweise bei dem Fall mit dem fahrenden Händler und den zehn Kilo Mehl, könnte der Fahrer sagen, dass er so viel nicht mehr hat. Anschließend sollte er mit den Angehörigen sprechen. Die können dann eine Einkaufsliste machen und dem Verkäufer geben. Der zeigt sie dann als "Angebotsliste" dem dementen Kunden und der kann dann selbst bestimmen, was er davon in der Woche braucht. So kann der ältere Mensch seine Einkäufe erledigen, die Angehörigen sind beruhigt und der Fahrer weiß, was er tun kann.
Zum Schluss der Schulung sind die Verkäuferinnen zufrieden. Petra Henkel, Bekleidung Henkel, sagt: "Es war wichtig darüber zu sprechen, was Demenz überhaupt bedeutet, dass man jetzt einmal ein Grundwissen hat, auch für den privaten Bereich." Zum Abschluss gab es noch einen Aufkleber mit der Aufschrift "demenzgeschulter Einzelhandel", damit vor allem die Angehörigen wissen, dass hier angemessen mit dem Demenzkranken umgegangen wird.
Neben dem Einzelhandel wurden auch schon die Polizei, die Feuerwehr und fahrende Einkaufsmärkte geschult.Extra

In Deutschland sind momentan 1,3 Millionen Menschen an Demenz erkrankt. Bis zum Jahr 2050 geht man von 2,6 Millionen aus. Margret Brech, von der Fachstelle Demenz im Kreis hat ausgerechnet, ausgehend von den vorhandenen Zahlen in Rheinland-Pfalz, dass im Landkreis Bernkastel-Wittlich derzeit 2420 Menschen an Demenz leiden. Es handelt sich bei Demenz um den Oberbegriff für hirnorganische Erkrankungen, zu der auch Alzheimer zählt. Demenz bedeutet weg vom Geist. Der Verlauf der Demenzerkrankungen ist ähnlich. Es gibt drei Stufen, bei der ersten sind Wortfindungsstörungen auffällig und der Erkrankte verliert die Orientierung in nicht gewohnter Umgebung. Er merkt, dass etwas nicht stimmt und baut eine Fassade auf. In der zweiten Phase sucht die Person Nähe, die Sätze werden zusammenhangslos. Die Orientierung geht auch im gewohnten Umfeld verloren. In der dritten Phase setzt ein großer Bewegungsdrang ein. Die Erkrankten scheinen nichts mehr mitzukriegen, sind aber emotional über Geruchs-, Essens- oder Berührungssinn erreichbar. chbExtra

Klaus Hofmann, Leiter der DRK-Bildungsstätte. Welche Probleme können mit demenzkranken Menschen im Geschäft auftreten? Vor allem, dass er den Ablauf stört. Es dauert einfach sich auf die Person einzustellen und zu helfen. Die Zeit ist im Arbeitsalltag oft nicht da. Aber dennoch sollte man sich vor Augen halten, dass man es mit Menschen zu tun hat, denen man helfen will. Worauf sollten Verkäufer bei demenzkranken Personen achten? Hofmann: Vor allem, die Person ernst nehmen und wertschätzen. Man muss sich in zunehmendem Maße darauf einstellen. Die Biografie des Einzelnen sollte man berücksichtigen, wenn sie bekannt ist. Wo kann man sich informieren, wenn man im Arbeitsleben mit dementen Menschen zu tun hat? Bei Pflegediensten, beim Bildungswerk des Roten Kreuzes oder bei der Alzheimer Gesellschaft. Dort gibt es Broschüren und ein Info-Telefon. Die Nummer ist: 01803/171017. chb

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