Wenn ehrenamtliche Arbeit zum Verhängnis wird

Zum Bau der Hunsrückhöhenstraße kamen viele Arbeiter aus ganz Deutschland in den Hunsrück. Unter ihnen waren aber nicht nur ehrliche Menschen, wie diese Geschichte zeigt.

Hunsrück. (red) Ein großer Jubelschrei hallte im Jahr 1938 durch Deutschland, als die Hunsrückhöhenstraße in nur 100 Tagen gebaut werden sollte. "Arbeit! Arbeit!" schallte es von allen Seiten, und von West und Ost strömten alle, die Hände zum Arbeiten hatten, in den Hunsrück. Die Männer, die kamen, nahmen vieles in Kauf, um ihren Angehörigen in Hamburg, Berlin oder München ein angenehmes Leben zu bieten. Die Arbeitslosigkeit und die tägliche Not der Familie hatte schließlich ein Ende. Natürliche begrüßten die Hunsrücker die fremden Arbeiter sehr herzlich und entfalteten Gastfreundschaft. Sie ließen die Gäste am heimischen Tisch Platz nehmen und gaben ihnen, wenn auch schweren Herzens, ihre Töchter zum Tanz auf der Tenne. Selbstverständlich wollten die hart arbeitenden Männer die vielen Annehmlichkeiten, die sie in den Dörfern entlang der Straße erfuhren, nicht als Gottesgaben entgegennehmen. Sie zeigten sich ihren Gastgebern gegenüber großzügig und überließen ihnen einen Teil der verdienten Groschen. Auch die Wirte, Bäcker und Metzger nahmen redlich Anteil am Geld der Gäste. Die Menschen wussten genau, wem sie den aufkeimenden Wohlstand zu verdanken hatten. Dahinter standen die Partei und der Führer. In einem Dorf hängten sie am Ortseingang quer über die Straße ein riesiges Transparent auf, mehr als fünf Meter lang, auf dem in leuchtenden Farben prangte: "Dass wir hier arbeiten dürfen, verdanken wir dem Führer!"Eines Tages kamen drei Gelegenheitsarbeiter, die verschiedene Möglichkeiten einer vorübergehenden Beschäftigung entdeckt hatten, und wollten den Ortsbürgermeister mit einem Anstandsbesuch beehren. Gleich hinter dem leuchtenden Transparent, auf dem die Dankbarkeit der Dorfbewohner sichtbar wurde, stand der prachtvolle Bauernhof des Ortsbürgermeisters. Die drei Wandergesellen strebten mit sicherem Instinkt auf das Haus zu. Die Eingangstür fanden sie wie erwartet unverschlossen, wie es damals üblich war. Das Haus war zudem noch menschenleer.Auf dem Küchentisch entdeckte einer der Burschen einen großen Zettel, auf dem jeder Hausbewohner die Dauer seiner voraussichtlichen Abwesenheit eingetragen hatte. Darauf stand: "Vater: Bin bei der SA — Kommen ungewiss! Mutter: Bin bei der NS-Frauenschaft — komme um drei Uhr! Sohn: Bin bei der Hitlerjugend — komme um sechs Uhr! Tochter: Bin beim BDM im Zeltlager — komme um fünf Uhr!" Jedes Familienmitglied hatte offensichtlich eine zusätzliche Arbeit für Anliegen des Führers übernommen. Angeregt durch den Einsatz der Gastgeber konnten die drei Gelegenheitsarbeiter doch nicht untätig bleiben. Mit Eifer und Sachverstand gingen sie ans Werk. Die Mutter merkte es sofort, als sie das Haus betrat. Unerwartete Besucher hatten hier gearbeitet: Das Haus war geplündert! Im Schornstein gähnende Leere, die Schubladen in den Zimmern durchwühlt, die Schranktüren sperrangelweit aufgerissen, der Sparstrumpf verschwunden, die Wäschetruhe ausgeräumt, selbst vom besten Porzellan in der guten Stube fehlte einiges. Doch auf dem großen Zettel auf dem Küchentisch stand in klarer Schrift: "Dass wir hier arbeiten durften, verdanken wir dem Führer!"Die Geschichte, die tatsächlich passiert ist, schrieb der Hermeskeiler Helmut Gorscher für die Nachwelt auf.

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